Stichtag

04. Mai 2008 - Vor 50 Jahren: Geburtstag des Künstlers Keith Haring

Die Fahrgäste der New Yorker U-Bahn müssen 1980 nicht mehr schwarz sehen. Auf vielen der unvermieteten und deshalb trist schwarz überklebten Werbeflächen machen sich eines Tages quietschbunte, comicartige Graffiti breit. Eine ganze Menagerie von lustigen Strichmännchen, strahlenden Babys und eckigen Hunden tanzt, springt und purzelt über die Flächen; alles in einfachen Linien schwungvoll auf die Wand fabriziert, schnell zu erfassen und gute Laune verbreitend. Ihren Schöpfer kennen zu jener Zeit nur die Angehörigen der New Yorker Untergrund-Szene - und die Polizisten, die den schnellen Graffiti-Künstler doch immer wieder mal erwischen und wegen Sachbeschädigung festnehmen. Doch schon wenige Monate später krabbelt eins der Babys im Strahlenkranz über den Riesenbildschirm am Times Square. 

Heute gibt es kaum einen Winkel der Erde, den die bunten Strichmännchen "mit dem erotischen Charme lustvoller Einfaltspinsel" (Süddeutsche Zeitung) nicht erobert haben. Sie sind kulturübergreifend zu Kunst- wie Kommerzobjekten geworden, zu universell verständlichen Symbolen, die auf nahezu allen Gegenständen des Alltags prangen und als Gemälde zu sechs- und siebenstelligen Summen gehandelt werden. In die Welt gesetzt hat sie ein junger, bebrillter Comic-Fan namens Keith Haring. Am 4. Mai 1958 wird er Reading, Pennsylvania  geboren. Er wächst auf, nach eigenen Worten, als "Kind des Atomzeitalters, in einem warmen Wohnzimmer, einigermaßen sicher im Amerika der weißen Mittelschicht". 

1978 hat Haring von seiner kleinbürgerlichen Heimat die Nase voll. Er zieht nach New York, lernt an der School of Visual Arts, taucht ein in die wilde Party- und Kunstszene der US-Metropole und genießt es, seinen Lebenshunger und seine Homosexualität auszuleben. Der Avantgardist Andy Warhol hilft dem großen Jungen mit der runden Brille und den schütteren Locken, sich auf dem internationalen Kunstmarkt zu behaupten. Seinen weltweiten Durchbruch erlebt Haring 1982 bei der documenta 7 in Kassel und auf der Biennale in Venedig. Ab Mitte der 80er Jahre spiegeln seine zuvor so unschuldig-infantilen Szenarien zunehmend die düsteren Seiten der Gegenwart. Er engagiert sich für Unicef und gegen Apartheid, Atomenergie und Drogenmissbrauch. 1988 erfährt Keith Haring von seiner HIV-Infektion; im Jahr darauf erscheint das letzte Foto von ihm: Haring  ohne Haare, selbst zum Männchen mutiert. Der Mann, der dem Graffito die Tür zur Hochkultur öffnete, erliegt am 16. Februar 1990, nach nur zehn rauschhaften Jahren, mit 31 Jahren der Immunschwächekrankheit. 

Stand: 04.05.08