Stichtag

20. Juni 2007 - Vor 135 Jahren: Deutsches Militär-Strafgesetzbuch tritt in Kraft

Vielen Kritikern ist das neue Gesetz damals zu lasch: Das Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich vom 20. Juni 1872 sieht die Todesstrafe nur noch bei Fahnenflucht in besonders schweren Fällen vor. "Wer während des Gefechts aus Feigheit die Flucht ergreift und die Kameraden durch Worte oder Zeichen zur Flucht verleitet, wird mit dem Tod bestraft", heißt es dort. Wer aber zum Beispiel aus dem Heimaturlaub nicht zurückkehrt, bekommt maximal sechs Monate Gefängnis. Rund 100 Jahre zuvor, unter Friedrich dem Großen, wird noch geprügelt. Da gibt es noch das Spießrutenlaufen, bei dem die abgeurteilten Soldaten durch ein Spalier ihrer Kameraden laufen müssen und mit Ruten blutig geschlagen werden - oft mit tödlichem Ausgang.

Nach der Französischen Revolution belegt Napoleon, dass Begeisterung Soldaten mehr motiviert als die Androhung drakonischer Strafen. Die französischen Soldaten müssen nicht von bewaffneten Wachen in ihrem Rücken zum Kampf gezwungen werden. Der preußische Militärreformer Gerhard von Scharnhorst erkennt die Vorzüge des französischen Militärsystems - und kopiert es. Ab 1866 siegt Preußen gegen Dänemark, Österreich und schließlich Frankreich. Nach der deutschen Reichsgründung unter Otto von Bismarck wird das erfolgreiche Militärstrafrecht 1872 aufs ganze Reich ausgedehnt.

Voller Begeisterung in den Ersten Weltkrieg

In den Ersten Weltkrieg ziehen die meisten deutschen Soldaten voller Begeisterung. Viele haben sich freiwillig gemeldet. Die deutschen Armeen kämpfen gegen drei Großmächte - ohne besondere Strafandrohung. Anders als in Frankreich und Großbritannien, wo bedeutend mehr Todesurteile vollstreckt werden. Deutschland verliert den Krieg trotzdem: Seine Führung hat sich immer mehr Feinde geschaffen. Um vom eigenen Versagen abzulenken, propagiert Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg die Dolchstoßlegende. Danach sei die deutsche Armee im Feld unbesiegt geblieben, aber von hinten - aus der Heimat - erdolcht worden.

Im Nationalsozialismus wird deshalb das Militär-Strafgesetzbuch ergänzt. Mit Gummiparagrafen wie Wehrkraftzersetzung: Ein falsches Wort kann schon für ein Todesurteil ausreichen - auch hinter der Front, auch für Zivilisten. Die Nazis versuchen zweierlei. Durch Propaganda puschen sie den Kampfeswillen. Gleichzeitig sorgen sie mit ihrer Militärjustiz dafür, dass Soldaten auch bei Kriegsverbrechen nicht desertieren. Keiner der rund 3.000 deutscher Militärrichter wird nach dem Zweiten Weltkrieg angeklagt. Im Gegenteil: Viele machen Karriere in der Bundesrepublik. Erst 1995 entscheidet der Bundesgerichtshof, dass Hitlers Militärrichter als "Blutrichter" bezeichnet werden dürfen. 2002 werden die deutschen Deserteure des Zweiten Weltkrieges rehabilitiert und die Urteile gegen sie aufgehoben. So genannte Kriegsverräter bleiben allerdings außen vor. Das Wehrstrafgesetz der Bundeswehr hat mit der NS-Militärjustiz nichts mehr zu tun. Die Todesstrafe ist abgeschafft, auch für Fahnenflucht. 

Stand: 20.06.07