Stichtag

29. Juni 2007 - Vor 40 Jahren: Erste Lesung der Notstandsgesetze im Bundestag

"Unser Grundgesetz gehört zu den wenigen Verfassungen, die nur den Normalfall ins Auge fassen", sagt Innenminister Gerhard Schröder ( CDU) Ende der 1950er Jahre. Für den Notstandsfall seien keine ausreichenden Bestimmungen getroffen. "Deshalb sage ich, Vorsorge tut Not." Immer wieder scheitern allerdings die Entwürfe der CDU-Regierungen an der SPD -Opposition. Denn für eine Verfassungsänderung ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag notwendig. Als 1966 eine Große Koalition von SPD und CDU zustande kommt, scheint diese Voraussetzung gegeben. Die Koalition entwirft ein Gesetz, nach dem in einer Staatskrise ein gemeinsamer Ausschuss als Notparlament wesentliche Parlamentsfunktionen übernehmen soll. Doch als sich die Regierung unter Kanzler Kurt Georg Kiesinger (CDU) daran macht, Notstandsgesetze zu beschließen, gibt es Widerstand.

Die Außerparlamentarische Opposition ( APO ), die sich aus Protest gegen die Große Koalition gebildet hat, und die Gewerkschaften sehen eine Gefahr für die Demokratie. "Die Notstandsgesetzgebung, so wie sie uns vorliegt, stellt keine demokratische Lösung dar", sagt Otto Brenner, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes. "Das Gesetz erscheint den meisten Bürgern dieses Staates als eine Art Verkehrsregelung bei Naturkatastrophen", erklärt Schriftsteller Heinrich Böll auf einer Großdemonstration in Bonn. "Während es in Wahrheit fast alle Vollmachten für eine fast totale Mobilmachung enthält." Böll erinnert an den Artikel 48 der Weimarer Verfassung, die Notstandsregelung, die bei Hitlers Machtübernahme eine große Rolle gespielt hat.

Demonstranten befürchten Beginn einer neuen Diktatur

Als am 29. Juni 1967 im Bundestag die Erste Lesung der Notstandsgesetze stattfindet, ist die Stimmung aufgeheizt. Am 2. Juni ist der Student Benno Ohnesorg bei Demonstrationen gegen den Berliner Schah-Besuch von einem Polizisten erschossen worden. Friedliche Demonstranten wurden von der Polizei und persischen Sicherheitsagenten zusammengeknüppelt. Für viele bilden die geplanten Notstandsgesetze der Anfang einer neuen Diktatur. Als drohendes Beispiel dient ihnen Griechenland, wo im April 1967 die Demokratie einer Militärjunta weichen musste. Deshalb skandieren sie nun: "SPD und CDU: Lasst das Grundgesetz in Ruh!" Für die Regierung stellt der Protest gegen die Notstandsgesetze selbst schon fast einen Notstandsfall dar.

Ende Mai 1968 werden die Notstandsgesetze trotz aller Proteste verabschiedet. Die gesamte FDP-Fraktion und 58 weitere Abgeordnete stimmen dagegen. Die einst umstrittenen Gesetze sind noch heute in Kraft. Im Verteidigungsfall, bei inneren Unruhen und Naturkatastrophen weiten sie die Gesetzgebungskompetenz des Bundes sowie dessen Weisungsbefugnisse gegenüber den Bundesländern aus. Zudem erlauben die Notstandsgesetze die Einschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses. Bei Unruhen im Inneren ist auch der Einsatz der Bundeswehr und des Bundesgrenzschutzes zulässig.

Stand: 29.06.07