Stichtag

20. Oktober 2007 - Vor 75 Jahren: Internationaler Jugendherbergsverband gegründet

In Gelsenkirchen fühlt sich Lehrer Richard Schirrmann gar nicht wohl. Alllzu gerne lässt der naturverbundene Reformpädagoge aus Ostpreußen die trübe Industriestadt hinter sich und bricht mit seinen Schülern zu ausgedehnten Touren durch die Landschaft auf. Anno 1903 versetzt die einsichtige Schulaufsicht den passionierten Wandersmann ins sauerländische Altena, wo Schirrmann den Unterricht so oft wie möglich in die geliebte Natur verlegt. Die zeigt sich eines Tages im Jahr 1909 einmal von ihrer unangenehmsten Seite. Vom Himmel prasselt ein nicht enden wollendes Unwetter auf die Wanderer herab, aber eine Unterkunft ist weit und breit nicht zu erreichen. In einem Schulhaus bei Hennef gelingt es Schirrmann endlich, seinen erschöpften Schülern ein Notquartier einzurichten. Während dieser Sturmnacht brütet der Wander-Lehrer eine Idee aus, die Geschichte machen wird.

Schirrmanns Plan, ein Netz kostengünstiger Unterkünfte für Jugendliche zu schaffen, fällt schnell auf fruchtbaren Boden. Vor allem die unter dem Namen Wandervögel bekannten, gesellschaftskritischen Jugendlichen des beginnenden Jahrhunderts machen reichlich Gebrauch von den überall entstehenden kargen, aber billigen Unterkünften. Die erste echte Jugendherberge wird 1912 eröffnet, in der Burg Altena, mit Richard Schirrmann als erstem Herbergsvater. Rasch überwindet das von ihm entwickelte Übernachtungswesen zum Spartarif auch die nationalen Grenzen. Als sich am 20. Oktober 1932 Europas Herbergsväter in Amsterdam zur Gründung eines internationalen Verbandes treffen, gibt es in zwölf Ländern 2.600 Jugendherbergen, davon allein 2.000 in Deutschland.

Beim zweiten Jahrestreffen der "Internationalen Arbeitsgemeinschaft für Jugendherbergen" 1933 in Bad Godesberg wird Richard Schirrmann zu deren erstem Präsidenten gewählt. Im deutschen Verband haben da schon Nationalsozialisten die entscheidenden Positionen besetzt. Die Herbergen verwandeln sich in Schulungsstätten der Hitlerjugend. 1937 versuchen NS-Schergen in Altena, den standhaften Schirrmann an ein Kreuz zu nageln. Der Vater der Herbergen entkommt, muss alle Ämter niederlegen und überlebt versteckt in einem kleinen Dorf im Taunus. Nach Kriegsende organisiert Richard Schirrmann den Wiederaufbau des deutschen Jugendherbergswerks und die Aussöhnung mit den europäischen Verbänden. Nicht zuletzt dank seiner Reputation wird Deutschland 1950 von der "International Youth Hostel Federation" wieder als vollwertiges Mitglied aufgenommen.

Stand: 20.10.07