Stacheldraht vor dem Gefängnis Stammheim

17. März 1977 - Abhörskandal in Stuttgart-Stammheim

Ein glatter Verfassungsbruch

Im Kampf gegen die "Rote Armee Fraktion" (RAF) sind dem Staat viele Mittel recht - auch ein illegaler Lauschangriff: Am 17. März 1977 teilen Baden-Württembergs Justizminister Traugott Bender (CDU) und Innenminister Karl Schiess (CDU) der Presse mit, dass in der JVA Stuttgart-Stammheim zwei Mal Gespräche zwischen angeklagten RAF-Mitgliedern und ihren Verteidigern abgehört worden seien. Die Minister berufen sich auf einen "übergesetzlichen Notstand". Anlass der Abhöraktionen sei der "dringende Verdacht" gewesen, dass die Inhaftierten Geiselnahmen und Gewaltakte aus dem Gefängnis steuern könnten. Ein glatter Bruch von Gesetz und Verfassung, durch den weitere Terroranschläge verhindert werden sollten: "Zu dieser Güterabwägung stehen wir und wir würden in ähnlicher Situation nicht anders handeln können, wenn wir unsere Pflicht nicht verletzen wollen", sagt Justizminister Bender.

Die erste Lauschaktion habe nach dem RAF-Überfall auf die Deutsche Botschaft in Stockholm Ende April 1975 stattgefunden: "In dieser kurzen Phase haben wir am 29.04. Hinweise auf einen Kinderspielplatz und eine möglicherweise dort geplante Geiselnahme erlangt", erklärt Innenminister Schiess. Die Anwälte von Ulrike Meinhof, Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe stehen bei den Behörden im Verdacht, Briefe aus dem Gefängnis zu schmuggeln. Das zweite Mal sei - nach der Festnahme von Rechtsanwalt Siegfried Haag - im Dezember 1976 "auf kurze Zeit befristet abgehört" worden, so Schiess. Die Minister verraten den Journalisten allerdings nicht, dass die Abhörgeräte schon Anfang März 1975 installiert worden sind, also rund sechs Wochen vor der Stockholmer Botschaftsbesetzung.

Kanzleramt, BND, Verfassungsschutz

Es stellt sich heraus, dass der Chef des Kanzleramtes, Staatssekretär Manfred Schüler, für den Einbau der Abhöranlage im Stammheimer Gefängnis die "technische Hilfe" des Bundesnachrichtendienstes genehmigt hat. Auch das Bundesamt für Verfassungsschutz hat dabei technische Unterstützung geleistet. Die Lauschoperationen des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg haben allerdings keine Beweise für die angebliche Gefährdung Dritter erbracht. Dafür gefährdet das öffentliche Eingeständnis der Aktionen den schon fast zwei Jahre dauernden Prozess gegen die führenden Köpfe der RAF. Otto Schily verlangt als Verteidiger von Gudrun Ensslin kurz nach der Pressekonferenz die Einstellung des Stammheimer Verfahrens: Es hätten eine "Vielzahl von Verstößen gegen fundamentale Rechtsgrundsätze im Strafprozess stattgefunden".

Die Abhöraffäre in Stammheim sorgt für Aufregung in der damaligen Bundeshauptstadt Bonn. Erst wenige Wochen zuvor hat die Öffentlichkeit erfahren, dass der Atomwissenschaftler Klaus Traube vom Verfassungsschutz vergeblich abgehört worden ist. Ihm sollten Verbindungen zu Terroristen nachgewiesen werden. Bundesinnenminister Werner Maihofer (FDP) war damals in die Lauschaktion eingeweiht. Durch den Fall Traube ist der Abhörskandal von Stammheim erst ans Licht gekommen. Zwar geraten die baden-württembergische Landesregierung und die sozial-liberale Bundesregierung unter Führung von Helmut Schmidt (SPD) unter Druck. Aber Konsequenzen bei Behörden und Politikern bleiben aus. Rund sechs Wochen später werden Baader, Ensslin und Raspe zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt.

Stand: 17.03.07