Stichtag

27. Januar 1972: Gospelsängerin Mahalia Jackson stirbt

An einem Augustabend 1967 sitzt Fernseh-Deutschland gespannt vor den Geräten. Zum Start ins Farbfernseh-Zeitalter flimmert live aus Berlin der "Gala-Abend der Schallplatte" in die Wohnzimmer. Stargast in der Berliner Kongresshalle ist die große Mahalia Jackson. Mit ihrer gewaltigen, dunklen Stimme durchdringt die legendäre "Königin des Gospel" den Saal und schlägt zu Hause Menschen in ihren Bann, die sonst mit Jazz, Blues oder gar religiösen Songs nichts anzufangen wissen. Niemand ahnt, dass die charismatische schwarze Sängerin diesen Auftritt nur noch mit letzter Willenskraft durchsteht. Eine anschließend geplante Europa-Tournee wird abgesagt. Bald hört man nur noch von Klinik-Aufenthalten und abgesagten Konzerten. Seit Jahren leidet Mahalia Jackson unter schweren Herz- und Kreislaufstörungen.
Begonnen hat die 1911 in New Orleans geborene Sklavennachfahrin Mitte der 30er Jahre, im Chor der Salem Baptist Church in Chicago. Innerhalb weniger Jahre wird Mahalia Jackson als stimmgewaltige Gospelinterpretin so populär, dass sich Bandleader wie Earl Hines und Duke Ellington um sie reißen. Doch sie lehnt ab, will keinen reinen Blues oder Jazz singen; sie will mit ihren Liedern die Botschaft Jesu in die Welt hinaustragen. Diesem von tiefer religiöser Demut und naiver Gläubigkeit geprägten Grundsatz bleibt Mahalia Jackson ein Leben lang treu. Aber mit ihrer vibrierenden Authentizität begeistert sie gleichermaßen die Zuhörer in Kirchen, beim legendären Newport Jazz-Festival oder in Nightclubs. Auf ausgedehnten Gastspielreisen erarbeitet sich Mahalia Jackson einen weltweiten Verehrerkreis. In ihrer Heimat USA dagegen bleibt die Sängerin, die von Papst Johannes XXIII. in Privataudienz empfangen wird, von der Rassendiskriminierung nicht verschont.

Weiße Fanatiker beschießen ihr Haus in Chicago, in Südstaaten-Fernsehshows darf "die Negerin" nicht auftreten. 1963 steht Mahalia Jackson zum Abschluss des Bürgerrechts-Marschs nach Washington neben Martin Luther King und singt nach dessen berühmter "I have a dream"- Rede vor 200.000 Menschen "How I got over". In den Jahren darauf fordert ihre angegriffene Gesundheit immer häufiger Tribut. Deshalb sind ihre deutschen Fans hoch erfreut, als die Gospel-Queen 1971, vier Jahre nach dem denkwürdigen Berliner Gala-Auftritt, in die Bundesrepublik zurückkehrt. Wieder tritt sie in Berlin auf - abgemagert, geschwächt, um Jahre gealtert, doch immer noch mit ungebrochener Willenskraft. Und wieder muss sie nach diesem Konzert alle Termine absagen. Es war ihr letztes Comeback. Wenige Monate später, am 27. Januar 1972, erliegt Mahalia Jackson mit nur 60 Jahren in Chicago einem Herzversagen. Ihre Grabrede hält Coretta King, die Witwe des ermordeten Bürgerrechtlers.

Stand: 27.01.07