Stichtag

22. April 1977: Ölkatastrophe auf der Nordsee-Bohrinsel "Bravo"

Nach Öl in der Nordsee zu bohren, ist schwierig: Bis zu 20 Meter hohe Wellen, Windgeschwindigkeiten von über 160 Stundenkilometern, unsteter Meeresboden - all das sei für Plattformen und Bohrinseln nicht geeignet, warnen in den 1970er Jahren Fischer, Umweltschützer und Ölförder-Experten. Das norwegische Ekofisk-Feld ist damals die ergiebigste Ölquelle des Nordens. Sie verspricht Reichtum und Unabhängigkeit. Deshalb schenken Regierungen und Ölgesellschaften den Kritikern keinen Glauben. Doch als es vor der norwegischen Südwest-Küste auf der Bohrinsel "Bravo" zur Katastrophe kommt, bestätigen sich die Warnungen.

Das Unglück ereignet sich am 22. April 1977 gegen 22.30 Uhr bei Wartungsarbeiten. Ein Sicherheitsventil soll ausgetauscht werden. Wie in solchen Fällen üblich wird schwerer Schlamm in das Förderrohr gepumpt, um das Öl zurückzuhalten. Ein plötzlicher Druckanstieg verursacht dann einen so genannten Blow-Out: Das Öl schießt 60 Meter hoch. Darüber bildet sich eine Gaswolke. Stündlich treten rund 170 Tonnen Öl und Erdgas mit einer Temperatur von knapp 120 Grad aus. Wegen der Brandgefahr wird die Bohrinsel von Löschbooten ständig mit Wasser besprüht. Die 112 Besatzungsmitglieder der Bohrinsel können unverletzt mit Rettungsbooten evakuiert werden. Mehrere Versuche, das Rohr abzudichten, schlagen fehl. Weder die Mannschaft der Bohrinsel noch europäische Experten sind erfolgreich. Auf dem Meer treibt mittlerweile ein Ölteppich, der so groß wie das Saarland ist.

Nach acht Tagen gelingt es schließlich dem amerikanischen Feuerwehrmann Paul "Red" Adair und seinem Team, das Leck zu schließen. Der Texaner, der sich auf solche Notfälle spezialisiert hat, wird später noch bekannter: Er löscht nach dem Zweiten Golfkrieg 1991 brennende Ölquellen in Kuwait. Den Kollegen der norwegischen Bohrinsel "Bravo" bescheinigt Adair fehlende Fachkenntnisse. Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt auch die amtliche Untersuchungskommission im Oktober 1977. Darin fallen Worte wie "Fehleinschätzung der kritischen Situation", "mangelhafte Führung und Kontrolle" sowie "unzumutbare lange Arbeitszeiten". In den Zeitungen lautet der Tenor: "Der Schock kam mit Vorankündigung". Die Katastrophe habe vermieden werden können. Da sich aber der Ölteppich auf der Nordsee verflüchtigt und keine Strände mit schwarzem Schlamm überzieht, werden keine konkreten Konsequenzen gezogen. Erst nach weiteren Unfällen mit hunderten von Todesopfern werden neue Sicherheitsvorschriften für Bohrplattformen erlassen.

Stand: 22.04.07