Stichtag

30. Dezember 1947: Der Kälte- und Hungerwinter

Genießt den Krieg, so lange es geht; der Frieden wird furchtbar sein. So lautete eine zynische Durchhalteparole aus der Endphase des Naziregimes. Ende des Jahres 1947 ist sie bitter wahr geworden: Im zerbombten Deutschland fehlt es an allem; die Ernährungslage ist katastrophal. Fünf Pfund Brot und ein halbes Pfund "Nährmittel" ist derzeit die Lebensmittelration pro Kopf und Woche. Kein Fett, kein Fleisch, kein Gemüse, kein Obst. Das US-Magazin Time schreibt: "Das Ausmaß, in dem Hunde amerikanischer Besatzungsangehöriger getötet und verspeist werden, kommt einer Herausforderung gleich." Dazu erleben die hungernden Deutschen bereits den zweiten, brutal eisigen Winter in Folge und der Mangel an Heizmaterial ist mindestens so eklatant wie der an Nahrung.

Für ein kleines Wunder hat zwölf Monate zuvor Kardinal Josef Frings mit seiner Silvesterpredigt gesorgt. In solchen Notzeiten, verkündet er im Kölner Dom den völlig demoralisierten Menschen, "werde auch der Einzelne das nehmen dürfen, was er zur Erhaltung seines Lebens und seiner Gesundheit notwendig hat". Schnell entwickelt sich das "fringsen" zum Freibrief für jede illegale Art der Beschaffung von Kohlen und Kartoffeln.  Auf Lebensmittelkarten erhalten die Überlebenden des Eiswinters Anfang Mai 1947 eine tägliche Brotzuteilung von einer dünnen Scheibe, ergänzt durch 210 Gramm Fett pro Monat. Immer heftiger wird unter den Besatzungsmächten diskutiert, ob eine völkerrechtliche Verpflichtung zur Versorgung des deutschen Volks bestehe.

So frostig der Winter war, so unerträglich heiß wird der Sommer 1947. Die im Herbst folgenden Missernten verschärfen die Ernährungslage drastisch. Landwirte stehen vor leeren Scheunen und können selbst ihr Vieh nicht mehr ernähren. Immer mehr Betriebe müssen wegen Kohlemangel schließen; immer mehr Menschen gehen an Mangelernährung und Seuchen zugrunde. Wer kein Dach mehr über dem Kopf hat, kann sich mit viel Glück in einer "Nissenhütte" einquartieren. Zu Tausenden werden diese simplen Wellblechbaracken von den alliierten Militärbehörden aufgestellt. Mit Einbruch des Winters verschärft sich der Kampf ums nackte Überleben wie im Vorjahr durch Temperaturen jenseits von minus 20 Grad. Das Elend scheint kein Ende zu nehmen. Kaum jemand weiß zu dieser Zeit, dass das von Konrad Adenauer erhoffte Wunder bereits in Vorbereitung ist: Im April 1948 verabschieden die USA den Marshallplan. Mehr als zehn Milliarden Dollar werden für den Wiederaufbau des zerstörten Westeuropa freigegeben und schaffen die Grundlage für das deutsche Wirtschaftswunder.

Stand: 30.12.07