Stichtag

17. August 2007 - Vor 45 Jahren: Peter Fechter verblutet an der Berliner Mauer

Ost-Berlin, 17. August 1962: Peter Fechter fährt morgens um sechs Uhr zur Baustelle Unter den Linden im ehemaligen Kaiser-Wilhelm-Palais. Der Maurer verabschiedet sich wie immer. Seine Familie ahnt nichts. Nur sein Kollege Helmuth Kulbeik weiß, dass der 18-Jährige seit Monaten überlegt, nach West-Berlin zu flüchten. Die beiden haben regelmäßig an der Sektorengrenze nach Schlupflöchern gesucht. Zwei Tage zuvor haben sie schließlich eine geeignete Stelle am Checkpoint Charly  entdeckt: Eine alte Tischlerei in der Zimmerstraße. In der Mittagspause betreten sie das Gebäude, um die Lage zu sondieren. Sie finden ein kleines Fenster Richtung Grenze, das nur mit einem dünnen Brett vernagelt ist. Aus der zufälligen Entdeckung wird ein spontaner Fluchtversuch: Sie vergraben sich in einem Berg Sägespäne und warten ab.

"Nach circa zwei Stunden hörten wir in unmittelbarer Nähe Stimmen", erinnert sich Betonbauer Kulbeik. "Wir verabredeten, wenn sich die Stimmen entfernt haben, durch das kleine Fenster zu springen und über die Mauer zu klettern." Fechter springt zuerst, Kulbeik folgt. Sie klettern über den ersten Stacheldrahtzaun und überwinden den zehn Meter breiten Todesstreifen. Als Fechter die Mauer erreicht, fallen Schüsse. Rolf F., Unteroffizier der DDR -Grenztruppen, feuert: Ohne Warnschuss, ungezielt und unter Schock. Als sein Posten "da flitzt einer" brüllt, drückt er ab. So erzählt er es 35 Jahre später vor Gericht. Im Bericht der ersten Grenzbrigade steht: "Insgesamt gab der Postenführer 17 und der Posten sieben Schuss ab." Weitere Schüsse fallen.

Getroffen bricht Fechter zusammen und schreit um Hilfe. Doch nichts passiert. Die Grenzsoldaten sehen nur zu. Augenzeugen auf der Westseite, die auf Podesten stehend über die Grenze gucken, sind machtlos. Fechter verblutet langsam. Als er nach fast einer Stunde kein Lebenszeichen mehr von sich gibt, wird er von den Soldaten weggetragen. Er stirbt gegen 15.15 Uhr im Krankenhaus - als 39. Maueropfer. Der Chefkommentator des DDR-Fernsehens Karl Eduard von Schnitzler höhnt später: "Soll man von unserer Staatsgrenze wegbleiben, dann kann man sich Blut, Tränen und Geschrei ersparen." 1997 stehen die Schützen von damals wegen Totschlags vor Gericht. Zum Prozess taucht der verschollene Obduktionsbericht auf: Peter Fechter ist von 30 Kugeln getroffen worden, aber nur eine tötete ihn. Wer den Schuss abgefeuert hat, kann nicht geklärt werden. Die Angeklagten, Unteroffizier Rolf F. und sein Posten, der Gefreite Erich S., bekommen ein mildes Urteil: knapp zwei Jahre auf Bewährung.

Stand: 17.08.07