Woodrow Wilson / Foto, um 1920

Stichtag

28. Dezember 2006 - Vor 150 Jahren: Geburtstag von US-Präsident Woodrow Wilson

Jubelnd drängt sich die Menschenmenge hinter den Soldaten, die vor dem Weißen Haus Spalier stehen. Nach langer Herrschaft der Republikaner schreitet am 4. März 1913 ein Demokrat zur Amtseinführung als 28. Präsident der USA.

Woodrow Wilson ist zutiefst geprägt von seiner Kindheit in der streng-religiösen Schlichtheit eines presbyterianischen Pfarrhauses in Virginia. Sein neues Amt wird der 57-Jährige mit dem missionarischen Eifer eines Predigers ausfüllen. Pathetisch befiehlt er den Soldaten, die Absperrungen zu entfernen: "Lasst das Volk ein. Die Herzen der Menschheit warten auf uns."

Mit Wilson, ehemals Präsident der berühmten Princeton-Universität, übernimmt erstmals ein echter Gelehrter die Macht in Washington, ein gründlicher Kenner der amerikanischen Demokratie, der allerdings sein Land bisher noch nie verlassen hat. Gleich nach Übernahme der Amtsgeschäfte macht Wilson seinen politischen Wegbegleitern klar, dass er sich keiner Lobby beugen wird: "Es war Gott der verfügt hat, dass ich der nächste Präsident werde. Weder Sie noch ein anderer Sterblicher hätte das verhindern können." Unerschrocken reformiert "der Professor" in seiner ersten Amtszeit das US-Bankensystem, zerschlägt mit Anti-Trust-Gesetzen die Monopole übermächtiger Großkonzerne und setzt zugunsten der kleinen Leute in den USA die Einkommenssteuer durch. Doch der hoch moralische Präsident aus den Südstaaten ist auch Rassist. In weiten Bereichen der Verwaltung und des Militärs führt er die Rassentrennung ein.

Während in Europa der Erste Weltkrieg tobt, hält Woodrow Wilson die Vereinigten Staaten weiter strikt auf einem Neutralitätskurs, dem er nicht zuletzt auch seine Wiederwahl verdankt. Als das Deutsche Reich jedoch im April 1917 den uneingeschränkten U-Boot-Krieg verkündet, beendet Wilson die Politik des Isolationismus und schickt den Alliierten die dringend benötigte Unterstützung. Aber Wilson hat mehr im Sinn, als nur den Krieg zu beenden: Er ist zutiefst überzeugt von der Sehnsucht aller Menschen nach Frieden, überzeugt davon, den Krieg an sich abschaffen zu können. In 14 Punkten entwirft er ein idealistisches Programm zur Gestaltung einer gerechten Weltordnung, fordert weltweite Abrüstung, die Selbstbestimmung der Völker und die Gründung eines Völkerbundes. In den Friedensverhandlungen zum Vertrag von Versailles aber erweist sich Wilson als weltfremder Naivling, als "tauber und blinder Don Quichote", wie ihn der britische Delegierte John Maynard Keynes später beschreibt. Obwohl der verhinderte Weltverbesserer 1919 mit dem Friedensnobelpreis geehrt wird, lehnt der US-Kongress den Versailler Vertrag ab. Wilsons Vision einer humanen Weltdemokratie ist geplatzt. Kurz darauf erleidet er einen schweren Schlaganfall und muss die Führung der Amtsgeschäfte abgeben. Einsam und vom eigenen Volk verachtet stirbt Woodrow Wilson am 3. Februar 1924 in Washington.

Stand: 28.12.06