Stichtag

25. Juni 2006 - Vor 45 Jahren: Kein Spielfilm ist gut genug für den Bundesfilmpreis

Anfang der sechziger Jahre steckt der deutsche Film in einer tiefen Krise. Draußen erobern Jean-Luc Godard, Claude Chabrol, Federico Fellini, Ingmar Bergmann und Luis Buñuel die Kinosäle. Das heimische Kintopp aber wird von biederen Heimat- und Musikfilmen, Komödienschnulzen, Edgar-Wallace- oder Karl-May-Verfilmungen beherrscht. O.W. Fischer, Heinz Rühmann oder Liselotte Pulver versprühen gute Laune in einer unwirklichen Welt aus Zelluloid. Für Regisseur Volker Schlöndorff ist das Kino fest in den Händen eines "Schnulzen-Kartells".1961 erhält die deutsche Filmindustrie die Quittung: Die Jury des Bundesfilmpreises sieht sich schlichtweg außer Stande, in der Verflachung cineastischen Mittelmaßes ein Highlight zu sichten. "Gerade in den letzten Jahren hat uns das Ausland mit einer Fülle von Anregungen überschüttet, die bei uns niedergegangen sind wie Bleikugeln im Moor", beklagt Georg Ramseger, einer der Juroren, in seiner Begründung am 25. Juni. "Es ist, als wären wir immun gegen jeden Reiz, als wären wir an das Brett des Konventionellen und der Einfallslosigkeit gefesselt, zu schwach, auch nur eine dieser Fesseln zu zerreißen."

Als hätte die Entscheidung der Jury ein Umdenken bewirkt, sieht schon ein Jahr später alles etwas anders aus. 1962 erlebt der deutsche Film mit dem "Oberhausener Manifest" eine dramatische Zäsur. Es ist die Geburtsstunde des Neuen Deutschen Films. 26 Filmemacher fordern ein Kino ohne kommerzielle Beeinflussung oder Bevormundung von Interessensgruppen. Alexander Kluge, Wim Wenders, Volker Schlöndorff und Rainer Werner Fassbinder setzen es auch um. Endlich kann Deutschland der internationalen Filmszene etwas entgegensetzen. Die Fesseln der Einfallslosigkeit sind endgültig zerrissen.

Stand: 25.06.06