Stichtag

05. Februar 2006 - Vor 70 Jahren: Uraufführung von Chaplins "Moderne Zeiten"

Charlie Chaplin ist verdammt zum Schraubendrehen. In dem Film "Moderne Zeiten", der am 5. Februar 1936 in die Kinos kommt, gerät er in der stupiden Arbeit der Fabrik immer wieder aus dem Takt, droht durch seine Tollpatschigkeit den Akkord zu ruinieren. Zu gern würden die Kollegen ihn deshalb verprügeln. Aber das unaufhörlich laufende Fließband lässt ihnen keine Zeit dazu. Als der Held auf der Jagd nach einer Schraube ins Innere der Maschinerie gerät, verliert er den Verstand – zumindest glauben das die Vorgesetzten. Elegant tanzt er durch die Fabrik und stürzt sie komplett ins Chaos. Drehend rennt er hinter der Sekretärin seines Vorgesetzten her und will bei einer Passantin auf der Straße weiterschrauben. Die Polizei transportiert ihn schließlich in die Irrenanstalt. Aber eigentlich findet er, so sieht es der Betrachter, auf diese Weise zu sich selbst."Moderne Zeiten" ist der erste Film über die unmenschliche Akkordarbeit in US-amerikanischen Fabriken nach Einführung des Fließbands durch den Autobauer Henry Ford. Von der konservativen Presse wird Chaplin deshalb scharf kritisiert. Ein "kommunistisches Machwerk" sei der antikapitalistische Streifen, tönt es durch die Gazetten. Das FBI beginnt, Materialien über den Künstler zu sammeln. 1947 wird der Schauspieler und Regisseur mehrmals vor den "Ausschuss für unamerikanische Umtriebe" zitiert. Vor allem FBI-Gründer J. Edgar Hoover erklärt sich zu seinem Gegner. 16 Jahre später wird Hoover die Rückkehr Chaplins nach einer Englandreise durch ein Verfahren wegen subversiver Tätigkeiten zu verhindern suchen. Chaplin bleibt daraufhin im Schweizer Exil.

So sehr "Moderne Zeiten" die Filmgeschichte prägte: im Grunde ist er auf romantische Weise unmodern. Das hat nicht nur mit dem berühmten Schlussbild zu tun, in dem der Held mit seinem Mädchen im Arm in den Sonnenuntergang verschwindet. Auch der Entwicklung des Films widersetzt sich der Streifen standhaft. Denn obwohl sich der Tonfilm in Hollywood bereits durchgesetzt hat, verzichtet Chaplin fast ganz auf Sprache: Ausgerechnet "Moderne Zeiten" ist der letzte große Stummfilm Hollywoods. Erst gegen Ende des Films, als der aus der Irrenanstalt entlassene Held eine Anstellung als singender Kellner erhält, hören die Kinogänger - erstmals überhaupt - Chaplins Stimme. Aber was von der Leinwand herab zu hören ist, ist ein unverständliches Kauderwelsch. "Le spinash or le busho, cigaretto toto bello" schmettert Chaplin in die Mikrophone, "Ce rakish spagoletto, si la tu, la tu, la tua." Der Rebell des Kinos zeigt auch hier der neuen Technik eine lange Nase.Stand: 05.02.06