Stichtag

10. Juni 2006 - Vor 80 Jahren: Der Architekt Antoni Gaudí stirbt

Mitten in Barcelona baumelt ein Esel in der Luft und strampelt mit den Beinen. Mehrere Männer haben ihn an Seilen in die Luft gezogen. Dann wird er sorgfältig mit Gips bestrichen. Beaufsichtigt wird die Arbeit von einem stattlichen Mann mit zurückgekämmtem Haar und auffallend blauen Augen. Es ist der Architekt Antoni Gaudí. Für die Fassade seiner Kirche "Sagrada Familia " will Gaudí die Flucht der Heiligen Familie nach Ägypten möglichst naturalistisch darstellen. Deshalb nimmt er den Abdruck vom lebenden Modell. "Man braucht nichts zu erfinden", meint der Meister nach Ansicht des Gaudí-Kenners Juan Bassegoda: "Man muss nur das nehmen, was in der Natur bereits existiert. Und es einfach ein bisschen besser machen."Antoni Gaudí y Cornet wird 1852 als Sohn eines Kesselschmieds in Reus oder Riudoms (Katalonien) geboren und studiert von 1873 bis 1878 mit mäßigem Erfolg Architektur in Barcelona. 1878 lernt er den Grafen Eusebi Güell kennen, der viele seiner Bauten finanzieren wird. In der Folge macht Gaudí die Natur, vorwiegend in Barcelona, ein bisschen besser: mit märchenhaft verspielten Häusern, Brunnen und Kirchen, die gotische, maurische und antike Elemente in einer ganz eigenen Art des Jugendstils, dem "Modernisme", zusammenfügen. 1883 übernimmt der erst 31-jährige Gaudí die Bauleitung von Sagrada Familia. Hier will der überzeugte Katholik, der als Junggeselle ganz in seiner Arbeit aufgeht, mehr als ein Gotteshaus bauen. Er will ein Glaubensdenkmal aus Stein erschaffen, bei dem dem Betrachter der Mund vor Staunen offen steht.

Ausgerechnet dem Erfinder des "Modernisme" wird die Moderne und ihre Technik zum Verhängnis. Mit 73 Jahren übersieht Gaudí, in Gedanken versunken, eine Straßenbahn. Schwer verletzt wird er ins Armenhospital Santa Cruz gebracht: Niemand erkennt in dem schäbig gekleideten Mann den berühmtesten Architekten des Landes. Gaudí stirbt am 10. Juni 1926. Einen Kilometer lang ist der Trauerzug, der seinen Sarg vom Hospital zu Sagrada Familia begleitet. Dort wird Gaudí in der Krypta beigesetzt. Lediglich drei der vier Osttürme und die Ostfassade hat der fanatische Arbeiter vollenden können. Die gesamte Kirche existiert zu diesem Zeitpunkt nur als Plan. In seinem Kopf war sie längst fertig.

Stand: 10.06.06