Stichtag

04. April 1896: Satirezeitschrift "Simplicissimus" wird gegründet

Zähne fletschend schaut die rote Bulldogge den Betrachter aus leuchtend grellen Augen an. Die Ketten sind gesprengt, gleich könnte sie ihn attackieren. Die markante Zeichnung stammt aus der Feder Thomas Theodor Heines. Sein Kampfhund wird zum Markenzeichen der Satirezeitschrift "Simplicissimus", die am 4. April 1896 in München gegründet wird. Sie zeigt der selbstverliebten, streng nationalistischen deutschen Gesellschaft zur Zeit Wilhelms II. die Zähne.Despotische Junker und dumme Offiziere, scheinheilige Pastoren und bornierte Lehrer, Beamte und frömmelnde Jungfern sind die Zielscheibe des "Simplicissimus", der sich nach einer nur vordergründig einfältigen Figur aus einem Schelmenroman des Barockdichters Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen benennt. Neben bissigen Texten gibt es vor allem auch viel Platz für die Graphik. 1904 stößt der Zeichner Olaf Gulbransson zur Truppe, der den Karikaturen der Zeitschrift zu ihrem unverwechselbaren, flächigen Stil verhilft. Thomas Mann, Ludwig Thoma, Gustav Meyrink, Hermann Hesse und Frank Wedekind schreiben für den "Simplicissimus". Die durch das kläffende Markenzeichen demonstrierte Schärfe findet sich allerdings schon da im Blatt nicht immer.

Nach der Machtübernahme Adolf Hitlers ziehen die Nationalsozialisten dem klugen Kampfhund endgültig die Zähne. Der "Simplicissimus" muss wieder an die Kette. 1933 wirft die Satirezeitschrift den Juden Heine, den Schöpfer der Bulldogge, aus der Redaktion. Er muss ins Ausland fliehen. Von nun an heult die Zeitschrift mit den Wölfen. Der ins Exil getriebene Thomas Mann findet ein Exemplar des "Simplicissimus" in einem Friseurladen in Zürich. Es sei erbärmlich, notiert er in sein Tagebuch. Zwar wird der "Simplicissimus" erst 1967 gänzlich eingestellt. Aber er hat längst allen Biss verloren.Stand: 04.04.06