Stichtag

30. Dezember 2006 - Vor 90 Jahren: Grigori Jefimowitsch Rasputin wird ermordet

Zarin Alexandra ist verzweifelt. Die gebürtige Deutsche ahnt die Katastrophe, die sich über dem Kopf ihres Herrscherhauses in Russland zusammenbraut. Die Intellektuellen haben dem Hof die Gefolgschaft aufgekündigt, Leo Tolstoi weigert sich gar, dem Zaren einen Besuch abzustatten. Überall im Land kommt es zu Streiks und Meutereien. Zu allem Überfluss erkrankt Alexandras einziger Sohn Alexej - die Zukunft des Geschlechts der Romanows - an der Bluterkrankheit. Die Ärzte sind ratlos. Es ist die Zeit, in der nur noch ein Wunder helfen kann. Und es ist die Zeit, in der man nur allzu gern an Wunder glauben möchte.Da kommt das Wunder scheinbar, und zwar in Gestalt eines ungebildeten orthodoxen Wanderpredigers namens Grigori Jefimowitsch Rasputin. Wie aus dem Nichts taucht er 1905 aus der sibirischen Provinz Tobolsk in Sankt Petersburg auf. Sein Ruf, Kranke heilen zu können, eilt ihm voraus. Zunächst kuriert der charismatische Sohn eines Zuchthäuslers mit den schlechten Manieren die Salonlöwin Olga Lochtina und andere Damen der feinen Gesellschaft mit wirren Worten. Dann wird er zu Alexej vorgelassen. Der Junge fühlt sich schlagartig besser. Danach geht Rasputin am Zarenhof ein und aus. Zu Alexandra entwickelt sich ein Abhängigkeitsverhältnis.

Im Blick des einfachen Volkes erscheint die Beziehung anders. Die Krankheit Alexejs hat der Hof geheim gehalten. Das Verhältnis Rasputins zur Zarin hat deshalb einen suspekten Beigeschmack. Liebe und Sex sollen im Spiel sein. Hinzu kommt, dass die Hofbeamten den wachsenden Einfluss des Predigers missmutig beobachten. Die Geheimpolizei bespitzelt Rasputin. Ein belastendes Dossier wirft der Zar ins Feuer, der Überbringer, Ministerpräsident Stolypin, wird ermordet. Von nun an formiert sich der Widerstand gegen Rasputin immer offener. Mehreren Attentaten entkommt er knapp. Der Grund für den Hass übersteigt Rasputins Horizont. Er beginnt zu trinken. Dann schießt ihn der Duma-Abgeordnete Felix Jussupow - der einzige Mensch, dem Rasputin noch vertraut - im Keller seines Hauses heimtückisch nieder. Oben feiern die Verschwörer bereits den Erfolg ihrer Tat, als der schwer Verletzte zu entkommen versucht. Die Gruppe holt den Flüchtigen ein, prügelt ihn nieder, schießt erneut und wirft den Körper in der Nacht zum 30. Dezember 1916 in die eisige Newa. Als man den Toten später aus dem Wasser zieht, ist er mit einer Schicht aus Eis bedeckt. Die gefesselten Hände hat er drohend zum Himmel gestreckt.Dem Volk werde es schlecht gehen, wenn er ermordet werde, hatte Rasputin in düsterer Vorahnung kurz vor seinem Tod gesagt. Den Zaren werde es dann nicht mehr geben. Kaum drei Monate später versinkt die alte Ordnung in den Wirren der Russischen Revolution.

Stand: 30.12.06