Stichtag

18. Dezember 2004 - Vor 25 Jahren: Hans Küng verliert die kirchliche Lehrerlaubnis

1957 veröffentlicht ein gerade 29-jähriger Priester in Paris eine Doktorarbeit, die international Aufsehen erregt: Das Buch "Rechtfertigung" räumt wichtige Streitpunkte zwischen Katholiken und Protestanten aus dem Weg. Der Schweizer Hans Küng, Sohn eines Schuhhändlers aus Luzern, wird ein junger Star der kirchlichen Wissenschaft. Was er nicht weiß: In Rom nimmt die vatikanische Inquisitionsbehörde das Buch zum Anlass, eine geheime "Akte Küng" anzulegen.1962 probt die katholische Kirche die Revolution von oben: Papst Johannes XXIII. ruft ein Konzil ein und ernennt den Reformtheologen Küng zu einem der offiziellen Berater. Das Konzil reformiert auch die Inquisitionsbehörde, in der das geheime Küng-Dossier liegt. Sie heißt jetzt "Glaubenskongregation" und erhält modernere Verfahrensregeln. Aber weiterhin soll sie von der offiziellen Lehre abweichende Meinungen bestrafen.

Küng, inzwischen Professor in Tübingen, reichen die Reformen des Konzils nicht. Er möchte den Katholizismus an der Wurzel reformieren und stellt Fragen in kirchlichen Tabuzonen: 1970 kritisiert er mit "Unfehlbar? Eine Anfrage" die höchste Lehrautorität des Papstes. 1974 versucht er in "Christ sein" die Lehre von Jesus Christus in moderner Sprache zu erklären. Die deutschen Bischöfe greifen das Buch heftig an: Es leugne, dass Jesus der menschgewordene Gott sei. Der Fall geht nach Rom. Die Glaubenskongregation packt ihre alte Akte aus und fügt ihr viele neue Seiten an – zu viele Seiten für einen kirchentreuen Theologen. Am 18. Dezember 1979 fällt sie ihr Urteil: Hans Küng verliert die kirchliche Lehrerlaubnis, die Berechtigung, katholische Theologen auszubilden.Priester seiner Heimatdiözese Basel darf Küng bleiben. Und die Universität Tübingen findet einen bis dahin einmaligen Kompromiss: Küng verliert seinen Lehrstuhl, bleibt aber Direktor des "Institus für ökumenische Forschung". Er ist damit der einzige deutsche Theologe ohne kirchliche Anbindung, ein frei schaffender Künstler. In dieser Rolle wendet er sich in den folgenden Jahren dem Dialog der Weltreligionen zu. Für sein "Projekt Weltethos" holt er u.a. Tony Blair und Kofi Annan nach Tübingen – den Papst allerdings (noch) nicht.

Stand: 18.12.04