Stichtag

04. November 2005 - Vor 10 Jahren: Jitzhak Rabin in Tel Aviv ermordet

Am 4. November 1995 versammeln sich weit über 100.000 Demonstranten auf dem "Platz der Propheten" in Tel Aviv. Sie wollen die Friedenspolitik der israelischen Regierung unterstützen. Die überwiegend jungen Leute befürworten den Rückzug aus den besetzten Gebieten und die Anerkennung eines Palästinenserstaates. Ministerpräsident Jitzhak Rabin, umringt von populären Musikern, spricht zu den Versammelten. Seit knapp einem Jahr ist er Friedensnobelpreisträger, ausgezeichnet zusammen mit seinem Außenminister Schimon Peres und dem Palästinenserführer Jassir Arafat. Nach Geheimverhandlungen mit der  PLO hat seine von der Arbeitspartei geführte Regierung vor zwei Jahren in Oslo einen Vertrag mit den Palästinensern geschlossen, der schrittweise einen israelischen Rückzug und eine palästinensische Autonomie vorsieht. Mit Jordanien erreichte Rabin einen Friedensvertrag. Ausgerechnet der ehemalige Militär, der 1967 bei der Eroberung Ost-Jerusalems durch Israel mitwirkte, ist zur Hoffnung der Friedensbewegung im Land geworden. Nach seiner Rede singt die Menge das "Lied des Friedens": "Richtet eure Augen vorwärts mit Hoffnung, aber nicht durch das Visier eines Gewehres."Dann fallen Schüsse. Rabin bricht zusammen, getroffen von einem jungen Mann aus der Menge, der sich anschließend widerstandslos verhaften lässt: Yigal Amir. Er ist ein 25-jähriger Student, Anhänger der radikalen national-religiösen Opposition, die seit langem eine hasserfüllte Propagandakampagne gegen Rabin als Landesverräter führt. Auf dem Platz breitet sich Entsetzen aus. Die Menschen warten still, bis noch am Abend die Nachricht vom Tod Rabins verkündet wird. Aus der Demonstration ist eine schweigende Trauerversammlung geworden. Viele können kaum glauben, dass der Mord von einem Israeli verübt wurde. Einen Anschlag auf den Regierungschef hat es in Israels bewegter Geschichte seit der Staatsgründung 1948 nie gegeben.

Der Täter wird später zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Rabins Frau Lea engagiert sich bis zu ihrem Tod im Jahr 2000 in der Friedensbewegung. Die Schüsse von Tel Aviv haben mit Rabin auch den Friedensprozess getroffen: Schimon Peres wird 1996 von einer konservativen Regierung unter Benjamin Netanjahu abgelöst, der die Osloer Verträge ablehnt. Sein Nachfolger Ehud Barak scheitert an Differenzen mit Arafat. Als Ariel Scharon, Chef der Likud-Partei, im September 2000 den Tempelberg in Jerusalem betritt, rufen die Palästinenser die so genannte "Zweite Intifada" aus. Mit dem Aufstand kommt die Spirale der Gewalt erneut in Bewegung. Als Scharon, inzwischen selbst Ministerpräsident, 2005 den Rückzug aus dem Gazastreifen vollzieht, ist der Friedensprozess immer noch nicht dort angekommen, wo er seit den Schüssen auf Rabin unterbrochen wurde.


Stand: 04.11.05