Stichtag

14. August 2005 - Vor 60 Jahren: Todesurteil gegen Henri Philippe Pétain

Am 23. Juli 1945 beginnt vor dem Pariser Appellationsgericht der Prozess gegen den höchsten Repräsentanten des Vichy-Regimes, Marschall Henri Philippe Pétain. Die Anklage: Hochverrat und Kollaboration mit dem Feind. Pétain hat 1940 mit den Nazis einen Waffenstillstand abgeschlossen, nachdem die Wehrmacht innerhalb weniger Wochen halb Frankreich überrollt hat. Der unbesetzte Teil im Süden Frankreichs bleibt so unter französischer Verwaltung. Pétain lehnt einen aktiven Widerstand gegen die deutsche Besatzung ab. Auf diese Weise will er eine völlige Besetzung des Landes verhindern.Sitz der neuen Regierung ist der Kurort Vichy. Pétain installiert ein Regime mit autoritären Zügen. Er verfügt über nahezu absolute Vollmachten, nachdem ihm das aus Paris geflohene Parlament diktatorische Befugnisse übertragen hat. Durch zwei "Judenstatute" werden die Juden vom öffentlichen Leben ausgeschlossen. 1942 wird der "Judenstern" eingeführt. Im gleichen Jahr beginnen die französische Polizei und die Verwaltung damit, Juden in die Vernichtungslager der Nazis abzutransportieren. General Pétain, der einst in Frankreich hochgeehrte Veteran des Ersten Weltkriegs und siegreiche "Held von Verdun", wird immer mehr zu Hitlers Marionette. Das treibt viele junge Franzosen in die Résistance, die französische Widerstandsbewegung, während der nach London geflüchtete General Charles de Gaulle die Franzosen zum Kampf gegen die deutschen Besatzer aufruft.Am Verfahren gegen Pétain sind drei Richter und 24 Geschworene beteiligt - je zwölf Mitglieder des Parlaments und der Résistance. In 18 Tagen werden 68 Zeugen gehört. Der 89 Jahre alte Pétain verteidigt sich: Er sei für Frankreich im Zweiten Weltkrieg wie ein "Schild" gewesen, der sein Land vor dem Schlimmsten habe bewahren wollen. General de Gaulle sei das "Schwert" gewesen, das von außen den Kampf aufgenommen hätte. Chefankläger André Mornet legt hingegen eine Negativbilanz vor: Während des Vichy-Regimes seien 150.000 Geiseln erschossen, 750.000 Personen zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt und rund 300.000 Menschen in die Konzentrationslager deportiert worden. Diese Verbrechen werden im Prozess aber nicht verhandelt. Die Beteiligung französischer Stellen am Holocaust soll offenbar nicht Thema werden.

Das Gericht zieht sich am 14. August 1945 zur Beratung zurück. Das Urteil wird am nächsten Morgen um vier Uhr früh verlesen: "Das Tribunal verurteilt Marschall Philippe Pétain zum Tode und zum Verlust seiner bürgerlichen Ehrenrechte. Sein Vermögen wird beschlagnahmt." Wegen des hohen Alters des Angeklagten empfiehlt das Gericht, die Todesstrafe in lebenslange Haft umzuwandeln. Knapp sechs Jahre später stirbt Pétain am 23. Juli 1951 im Alter von 94 Jahren in der Haftanstalt der kleinen Atlantikinsel Ile d'Yeu, wo er auch bestattet wird.


Stand: 14.08.05