Stichtag

16. Juni 2005 - Vor 145 Jahren: Erstes deutsches Turnfest in Coburg

Im Mai 2005 kommen zum 32. Deutschen Turnfest mehr als 100.000 Turnerinnen und Turner nach Berlin. Sie kommen aus vielen Ländern, denn das Turnfest nennt sich erstmals "international". Das ist nicht selbstverständlich, denn die Tradition der Anhänger von Turnvater Jahn ist lange betont national, betont deutsch gewesen.Als der Lehrer Friedrich Ludwig Jahn 1811 in der Berliner Hasenheide den ersten Turnplatz eröffnet, ist Preußen von den Truppen Napoleons beherrscht. Turnen ist für den Turnvater eine paramilitärische Übung, die den Widerstand vorbereiten soll. Jahns Turnbewegung gibt sch national und revolutionär zugleich: Sie will ein einiges Deutschland, aber auch bürgerliche Freiheiten. Denn von den bekämpften Franzosen hat Jahn doch das Motto "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" übernommen. Die "Turnbrüder" gehen bei der Revolution 1848 auf die Barrikaden.Als die Turnvereine 1860 das erste deutsche Turnfest in Coburg ausrichten, besteht Deutschland aus 31 Fürstentümern und vier Reichsstädten. Die 970 Turner, die am 16. Juni in Coburg eintreffen, haben mehrfach Grenzen passieren müssen. Sie kommen aus 139 Städten und Gemeinden. Ihr Sportfest ist eine nationale Demonstration gegen die Kleinstaaterei.

Im preußisch geeinten Deutschland wird die Turnbewegung immer nationalistischer. Ihre revolutionäre Seite gibt sie an die Arbeiter-Turnvereine ab. 1933 nutzen die Nazis das nationale Tradition der Turner: Beim 17. Turnfest in Nürnberg  marschieren 200.000 Teilnehmer in "Heersäulen" durch die Stadt und jubeln anschließend Hitler zu. Deshalb ist der Neuanfang nach dem Krieg schwierig. Erst 1950 gibt sich der Deutsche Turnerbund eine neue Satzung, die "gesundes Nationalgefühl" mit "aufrechtem Weltbürgersinn" verbindet. Und erst weitere 55 Jahre später - nach Trimm-Dich-Bewegung, Fitness- und Wellness-Boom - wird ihr Turnfest international.


Stand: 16.06.05