Stichtag

15. Juni 2005 - Vor 5 Jahren: Kompromiss zur Atomenergie beschlossen

Für die letzte Verhandlungsrunde über einen Atomkonsens hat  Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) am 15. Juni 2000 zwei Stunden eingeplant. Daraus werden schließlich viereinhalb. Am Ende einigen sich die rot-grüne Bundesregierung und die vier größten deutschen Stromkonzerne auf eine "Vereinbarung zur geordneten Beendigung der Kernenergie". Ihr Inhalt: Für jeden Reaktor ist festgelegt, wie viel Strom er noch produzieren darf. Ist die Menge erreicht, endet jeweils die Betriebsgenehmigung. Alle Atomkraftwerke (AKW) zusammen dürfen noch rund 2.500 Terawattstunden Strom erzeugen. Diese Reststrommenge entspricht Bundeskanzler Schröder zufolge einer Gesamtlaufzeit aller Reaktoren von 32 Jahren. Die zugebilligten Mengen können von einer Anlage auf die andere übertragen werden. Ältere Kraftwerke sollen zugunsten modernerer Anlagen vorzeitig stillgelegt werden.


Ein Enddatum für das Abschalten des letzten  AKW ist in der Vereinbarung nicht festgelegt. Der Zeitpunkt der Stilllegung richtet sich nach der Reststrommenge. Unternehmenssprecher halten deshalb Gesamtlaufzeiten von bis zu 40 Jahren möglich. Einzelne Atomreaktoren könnten so angeblich noch bis 2028 in Betrieb sein. Für die verbleibende Nutzungsdauer will die Bundesregierung vereinbarungsgemäß "den ungestörten Betrieb der Kernkraftwerke wie auch deren Entsorgung" gewährleisten. So sind die Betreiber verpflichtet, Zwischenlager an den einzelnen Standorten zu errichten. Der Bund wiederum ist für die Endlagerung zuständig. Die Wiederaufbereitung abgebrannter Brennstäbe und der Transport von radioaktiven Abfällen ins Ausland zur Wiederaufbereitung ist ab dem 1. Juli 2005 verboten. Ebenfalls verboten ist der Bau von neuen Atomkraftwerken.

Die Vereinbarung ist umstritten. Bundeskanzler Schröder spricht von einem fairen Kompromiss, der für alle Seiten erträglich sei. Die Vertreter der Energiewirtschaft stimmen dem zu. Auch Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne), der zusammen mit Wirtschaftsminister Werner Müller (parteilos) eineinhalb Jahre lang die Konsensgespräche geführt hat, ist zufrieden: Die Begrenzung der Laufzeiten auf 32 Jahre, ohne dass Entschädigungen an die Unternehmen gezahlt werden müssten, sei "beachtlich". Die ehemalige Bundesvorsitzende der Grünen Jutta Ditfurth hingegen kritisiert, die Grünen hätten ihren Gründungskonsens "Sofortige Stilllegung aller Atomanlagen" verraten: Sie "paktieren heute mit der Atomwirtschaft, um hinter der Maske eines angeblichen Ausstiegs - die Atomenergie in Wirklichkeit auszubauen und zu modernisieren." Kritik kommt auch von Angela Merkel (CDU) - sie zielt allerdings in eine ganz andere Richtung: "Wir werden, wenn wir an der Regierung sind, diesen Ausstieg nicht weiter verfolgen."


Stand: 15.06.05