Jugendliche der DDR marschieren in Uniform und unter Aufsicht

29. Mai 1981 - Wehrkundeunterricht für Abiturstufe der DDR

Stand: 29.05.2016, 00:00 Uhr

Aus Sicht der DDR-Führung ist die Sache klar: Die Nationale Volksarmee (NVA) schützt Frieden und Sozialismus. Schon im Kindergarten wird diese Botschaft Lehrinhalt. Im staatlichen Bildungs- und Erziehungsplan für vier- und fünfjährige Kinder heißt es: "Die Beziehung der Kinder zu den bewaffneten Streitkräften werden vertieft." Sie sollen Bilder sammeln und "nach Möglichkeit zu einem Angehörigen der bewaffneten Organe freundschaftliche Beziehungen" herstellen. In der Schule geht die Indoktrination weiter mit dem Fach Wehrunterricht.

Die Grundlage dafür legt die Staatspartei SED 1973. Das Politbüro beschließt damals, dass Landesverteidigung auch eine Erziehungsfrage sei: "Die Liebe zur Heimat und die Bereitschaft zu ihrer Verteidigung als eine entscheidende Frage ethisch-moralischer und staatsbürgerlicher Haltung gehört zu den wichtigsten Themen, die in der Kinder- und Jugendliteratur in noch stärkerem Maße literarisch behandelt werden müsssen." In den Schulbüchern lässt das Ministerium für Volksbildung (MfV) zum Beispiel das Gedicht "Bewaffneter Friede" von Wilhelm Busch abdrucken. Darin verlangt der Fuchs vom Igel dessen Fell: "Weißt du nicht, dass jeder sündigt, der immer noch gerüstet geht?" Der König habe längst Frieden verkündet. Doch der Igel erwidert: "Lass dir erst die Zähne brechen, dann wollen wir uns weitersprechen." Schnell rollt er "seinen dichten Stachelbund" zusammen - "und trotzt getrost der ganzen Welt, bewaffnet als Friedensheld". Für die Schulkinder soll der Igel die NVA symbolisieren.

Ausbildung an der Waffe

1973 werden an den Schulen in den oberen Klassen zunächst freiwillige Arbeitsgemeinschaften zum Thema "Wehrausbildung" eingerichtet. Mit Beginn des Schuljahres 1978/79 wird der Wehrunterricht schließlich für die neunten und zehnten Klassen der Polytechnischen Oberschulen (POS) schrittweise als obligatorische Lehrveranstaltung eingeführt. Die Direktive der Volksbildungsministerin Margot Honecker sieht vier Unterrichtsstunden "zu Fragen der sozialistischen Landesverteidigung" vor. Hinzu kommt am Ende des neunten Schuljahres ein vormilitärisches Ausbildungslager für die teilweise erst 14-jährigen Jungen. Es soll freiwillig sein und zwei Wochen dauern, in denen auch Waffenausbildung vorgesehen ist. Wer sich dagegen wehrt, kann den für Mädchen konzipierten Lehrgang "Zivilverteidigung" absolvieren. Zudem sind im 10. Schuljahr drei "Tage der Wehrbereitschaft" geplant, die für Mädchen und Jungen gleichermaßen Pflicht sind. Am 29. Mai 1981 wird der Wehrkundeunterricht auch für die Abiturstufe ab der elften Klasse angeordnet.

Der Wehrkundeunterricht ist zwar umstritten, in den DDR-Medien ist aber keine Kritik zu lesen. Im ersten Jahr des neuen Unterrichtsfaches gibt es 303 Eingaben von Eltern. Die meisten von ihnen sind kirchlich orientiert. Deshalb ist es wohl kein Zufall, dass sich ausgerechnet die Christlich-Demokratische Union, eine der Blockparteien der DDR, demonstrativ positiv äußert: "Mit der Einführung des Wehrunterrichts sind nun noch bessere Voraussetzungen geschaffen, die vormilitärischen Kenntnisse und Fähigkeiten der Schüler systematisch und zielstrebig zu erweitern und ihre Wehrbereitschaft und Wehrfähigkeit weiter zu erhöhen", schreibt ein Berliner Lehrer in der CDU-Zeitung "Neue Zeit".

Offener Brief an Margot Honecker

Die Unzufriedenheit über den Wehrunterricht bleibt in der Bevölkerung dennoch bestehen. Im Mai 1989 kursiert im Untergrund ein Offener Brief, der an Margot Honecker gerichtet ist. Absender sind die Teilnehmer eines pädagogischen Seminars: "Uns macht betroffen, in welchem Maße militärische Strukturen und Inhalte Grundlage für den Unterricht sind." Ohne Abschaffung der Wehrerziehung sei "eine sachbezogene und kreative Lösung der Menschheitsprobleme nicht lösbar". Einen Monat später wird im zweiten Programm des DDR-Radios eine Schulfunk-Sendung ausgestrahlt, deren Titel aufhorchen lässt: "Brauchen wir Wehrerziehung?" Zwar wird die rhetorische Frage staatstragend positiv beantwortet, aber dennoch sind in dem Beitrag auch Berliner Schüler zu hören, die sich zumindest kritisch zur Form des Unterrichts äußern.

Mit Beginn der Massenproteste im September 1989 ändert sich das Klima in der DDR. Kurz vor dem Mauerfall berichtet die CDU-Zeitung "Neue Zeit" am 9. November 1989, an Pankower Schulen sei nach Angabe der Bezirksschulrätin der Wehrunterricht abgeschafft worden. Auch die Verteilung von Kriegsspielzeug in Kindergärten werde in Zukunft unterbleiben. "Die Rechtfertigung der Stadtbezirksschulrätin für Volksbildung, Kindern müsse ein konkretes Feindbild anerzogen werden, um sie schon frühzeitig für militärische Berufe zu gewinnen, ist unverantwortlich und dürfe sich nicht wiederholen."

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"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.05 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 29. Mai 2016 ebenfalls an den Wehrkundeunterricht für die Abiturstufe der DDR. Auch das "ZeitZeichen" gibt es als Podcast.