Unfall auf der Transrapid-Versuchsstrecke in Emden

22. September 2006 - Transrapid-Unglück im Emsland

Stand: 22.09.2016, 00:00 Uhr

Am Morgen des 22. Septembers 2006 fährt der Besenwagen wie jeden Tag die 31,5 Kilometer der Transrapid-Trasse im Emsland ab. Gegen halb zehn warten die beiden Arbeiter in dem Kontrollfahrzeug an Stütze 120, von wo aus eine Weiche in die Werksgarage führt. Ungefähr zur gleichen Zeit steigen an diesem Herbstmorgen die ersten Besucher in den Transrapid, mit Zugbegleiter sind 31 Personen an Bord. Nach der üblichen Test-Notbremsung wartet der Zugführer auf ein Signal zur Weiterfahrt.

Um 9.52 Uhr gibt ein erfahrener Mitarbeiter der Leitstelle die Fahrerlaubnis. Dass auf der Strecke noch der Werkstattwagen steht, hat er übersehen. Auch sein Kollege, der ihn nach dem Vier-Augen-Prinzip kontrollieren muss, passt nicht auf. Die Richter werden später vom "Augenblicksversagen der beiden Männer" sprechen. Keine zwei Minuten später rast der Transrapid mit Tempo 170 auf den Werkstattwagen, 23 Menschen sterben bei dem Unglück. Die Bergung dauert bis zum Abend, dann trifft auch die Kanzlerin im Emsland ein. "Mir fehlen die Worte", sagt Angela Merkel mit Tränen in den Augen beim Anblick der Unglücksstelle.

Gute Theorie, teure Praxis

Die technischen Grundlagen für den Magnetzug stammen aus den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, als man eine schnelle Alternative zur herkömmlichen Rad-Schiene-Technik sucht. Der norddeutsche Ingenieur Hermann Kemper entwickelt "eine Schwebebahn mit räderlosen Fahrzeugen", die er 1934 zum Patent anmeldet. Doch erst 1969 gibt Verkehrsminister Georg Leber (SPD) das Startsignal und verspricht ein Verkehrsmittel, das mit dem Flugzeug mithalten kann. Allerdings entpuppt sich der Traum deutscher Ingenieure schnell als unbezahlbar.

Um die Technik auf Herz und Niere zu testen, wird 1983 die Teststrecke im Emsland in Betrieb genommen. Eine gute Werbemaßnahme für die beteiligten Industriekonzerne Thyssen-Krupp und Siemens. Doch die verkaufen den vermeintlichen deutschen "Exportschlager" gerade einmal: In Schanghai pendelt die Magnetbahn seit 2004 mit Tempo 400 zwischen Finanzdistrikt und Flughafen - unfallfrei. Dagegen scheitern alle geplanten deutschen Projekte. Egal ob die Fernverbindung Hamburg-Berlin, der Münchener Flughafen-Express oder die Metrorapid durchs Ruhrgebiet: Weder die Konzerne noch die Regierungen wollen das finanzielle Risiko eingehen. Zumal mit dem ICE mittlerweile eine passable Alternative auf der Schiene fährt.

Teststrecke wird zur Touristenattraktion


Stattdessen wird die Teststrecke im strukturschwachen Emsland zur Touristenattraktion. Schulklassen, Betriebsausflügler und Kegelclubs durchfahren das platte Land in rund zehn Minuten für 18 Euro, bis zu 1.000 Interessierte kommen täglich. Für die Menschen in Lathen ist es eigentlich egal, ob der Transrapid jemals in München oder Hamburg gebaut wird, Hauptsache er wird im Emsland getestet. Zwei Jahrzehnte lang schwebt die Magnetbahn die Test-Trasse entlang, jede Fahrt wird genau dokumentiert - einschließlich der letzten Besucherfahrt.

Der 22. September 2006 beendet das "Fliegen auf Schienen" jäh. Auch wenn die gerichtliche Aufarbeitung allein menschliches Versagen als Ursache für das schwere Unglück ausmacht und die beiden Fahrdienstleiter zu Bewährungsstrafen verurteilt werden. ThyssenKrupp und Siemens legen den Transrapid ad acta. Die Versuchsstrecke im Emsland steht heute still. Bund und Betreibergesellschaft streiten vor Gericht über die Abbruchkosten.

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