Skulptur von Alan Turing

15. Mai 1951 - Alan Turing fragt: "Können Computer denken?"

Stand: 15.05.2016, 00:00 Uhr

Als Zehnjähriger liegt Alan Turing fasziniert im Gras. Während seine Klassenkameraden in der Ferne Hockey spielen, ist der Internatsschüler versunken in ein Buch. "Denn natürlich ist der Körper eine Maschine", steht darin zu lesen. "Eine unermesslich komplexe Maschine, aber dennoch eine Maschine."

Der Gedanke aus Edwyn Tenney Brewsters "Natural Wonders Every Child Should Know" lässt Turing Zeit seines Lebens nicht mehr los. So muss er zwangsläufig auf den logischen Umkehrschluss kommen: Wenn der menschliche Körper eine Maschine ist, die denken kann – muss es dann nicht logischerweise auch Maschinen geben, die denken können?

Mit dem Berechenbaren rechnen

Geboren wird Turing 1912 in London. Nach unglücklichen Jahren auf dem Grundschulinternat begegnet er auf der Public School seiner ersten großen Liebe Christopher Morcom, der ihm intellektuell gewachsen ist. Mit ihm diskutiert der eigenbrötlerische und in sich zurückgezogene Junge seine Gedanken – bis zu dessen frühem Tod 1930, der den nunmehr 18-jährigen Turing aus der Bahn wirft. Heil sucht er in der Spiritualität und der Idee einer unsterblichen Seele, die er in seinem Essay "Natur des Geistes" beschreibt und mit wissenschaftlichen Kriterien verknüpft: "Dann wäre der Geist ein physikalisches System, womöglich eine Denkmaschine".

1931 beginnt Turing sein Studium der Mathematik am renommierten King’s College in Cambridge. Hier stößt er auf den uralten Expertenstreit rund um die Frage, ob sich alles berechnen lässt. Ja, sagt Turing – und erfindet in Gedanken eine programmierbare Maschine, die alles berechnen kann, sobald man in ihr verschiedene Programme abspulen lässt – der geistige Vorläufer des heutigen Computers und ein früher Verweis auf künstliche Intelligenz.

Denken von Denken unterscheiden

Mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wird Turing zum Patrioten. 1938 verzichtet er auf eine Unikarriere und stellt sein Genie in den Dienst des britischen Geheimdienstes, für den er mit seinem Team den als unentschlüsselbar geltenden Code der deutschen U-Boote in der Atlantikschlacht knackt und damit kriegsmitentscheidend wird. Nach dem Krieg denkt Turing sein Modell einer berechnenden Maschine weiter. Und entwickelt 1950 seinen "Turing Test", mit dem sich praktisch nachweisen lässt, ob ein Computer etwas tut, das man als intelligent bezeichnen könnte. Auch hier betritt Turing wieder Neualnd.

Am 15. Mai 1951 konfrontiert Turing die Hörer der BBC in der Sendung "Können digitale Computer denken?" mit seinen verblüffenden Gedanken. "Digitale Computer wurden oft als mechanische Gehirne beschrieben. Die meisten Wissenschaftler betrachten das wohl als bloßen Publicitygag, einige jedoch nicht. Wenn man nämlich akzeptiert, dass echte Gehirne eine Art Maschine darstellen, dann folgt, dass ein geeignet programmierter Digitalcomputer sich wie ein Gehirn verhalten wird", sagt er ins Mikrofon. Und prophezeit: "Bis zum Ende des Jahrhunderts wird man eine Maschine so programmieren können, dass sie Fragen auf eine Weise beantwortet, die es extrem schwer macht zu entscheiden, ob die Antworten von einem Mensch oder einer Maschine kommen."

Die Erfüllung seiner Visionen erlebt Turing nicht mehr mit: Wegen seiner Homosexualität als Sicherheitsrisiko eingeschätzt und ausgegrenzt, nimmt er sich 1954 das Leben.

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