Straßenszene 1964, Stan Getz mit Saxophon

6. Juni 1991 - Jazzmusiker Stan Getz stirbt in Kalifornien

Stand: 06.06.2016, 00:00 Uhr

Im Sommer 1939 langweilt sich der 12-jährige Stan vor seinem Wohnblock im New Yorker Stadtteil Bronx. Da bietet ihm ein vorbeigehender Mann an, dass er den ganzen Sommer für 50 Cent Musikunterricht bekommen könnte, um mit der "Junior Harmonica Rascals" aufzutreten. Das kann sich der arbeitslose Vater gerade noch leisten - zur Freude der ehrgeizigen Mutter. Stan entpuppt sich als musikalisches Naturtalent mit märchenhaftem Gehör und viel Fantasie.

Zudem ist der Junge zäh und ehrgeizig. Er spielt auch noch weiter auf seiner Mundharmonika, als er sich bei der Aufführung vor Aufregung in die Hose macht. Zwei Jahre später bläst Stan Getz täglich acht Stunden in ein Tenorsaxofon. Seine Disziplin trägt Früchte, der Sohn russisch-jüdischer Einwanderer spielt immer brillanter, kraftvoller, perfekter. Er kann in allen Stilen, Harmonien und jedem Tempo improvisieren. Jack Teagarden holt den 16-Jährige in seine Band und übernimmt gleich noch seine Vormundschaft bis zur Volljährigkeit.

Ein Solo macht in berühmt

Der junge Getz spielt wie besessen, probt, tritt abends in Clubs auf und geht danach noch zu Jam-Sessions. "Ich wuchs zu schnell auf, ich habe meine Jugend verpasst. Aber ich konnte mit fantastischen Musikern spielen", sagt Getz später. Er musiziert mit Benny Goodman, Stan Kenton und Woody Herman. 1948 macht ihn ein einziges Solo in der melancholischen Ballade "Early Autumn" zum Star. Da ist Getz gerade einmal 21 Jahre alt. Das Publikum liebt sein melodiöses, gefühlvolles Spiel. "Man nannte ihn in den 50er Jahren den 'Weißen Gott des Cool Jazz'", sagt Getz-Biograph Hans-Jürgen Schaal.

Auf der Bühne ein Gott, im Leben ein Wrack, das sich mit Alkohol und Drogen betäubt. Getz heiratet die Sängerin Beverly und bekommt mit ihr drei Kinder. Die Familie ist ständig pleite, weil die Eltern beide an der Nadel hängen. 1954 wagt Getz auf Tournee den kalten Entzug und dreht durch. In Seattle überfällt er mit einer Spielzeugpistole eine Apotheke. Das misslingt und der Musiker muss nach einem Selbstmordversuch für sechs Monate ins Gefängnis. Das Wunderkind des Jazz liegt am Boden. Das Paar trennt sich und Getz flüchtet mit einer neuen Liebe nach Europa.

"Girl von Ipanema"

Zurück in den USA spielt ihm 1962 der Gitarrist Charlie Byrd ein paar Platten vor, die er aus Brasilien mitgebracht hat. Getz ist sofort von der Mischung aus Samba und Jazz-Harmonien begeistert und macht den Bossa-Nova - die neue Welle - in den USA populär. Für sein viertes Bossa-Album lässt er Astrud Gilberto eines der Stücke auf Englisch singen. "The Girl from Ipanema" geht mit ihrer Stimme und seinem Saxofonspiel in die Geschichte ein. Getz/Gilberto wird eine der erfolgreichsten Jazz-Platten aller Zeiten.

Kritiker und Kollegen werfen ihm Kommerz vor. "Ich konnte ein Haus kaufen, ich konnte fünf Kinder aufs College schicken. Aber ich habe das nie so gesehen, dass ich ein kommerzieller Musiker bin", verteidigt sich Getz. Das breite Publikum liebt seinen Sound, auf der Bühne improvisiert er voller Gefühl, sanft, strahlend.

Zu Hause erlebt seine Familie den anderen Stan. Er hat Affären, nimmt Heroin und Koks, trinkt, rastet aus und wird gewalttätig. "Ich habe viele schlimme Fehler gemacht. Und die meisten wegen meiner Abhängigkeit von Drogen und Alkohol", räumt Getz ein. Immer wieder legt der Jazzmusiker lange Pausen ein, verschwindet von der Szene - und kommt zurück. 1988 bekommt er die Diagnose Leberkrebs. Stan Getz stirbt am 6. Juni 1991 mit 64 Jahren in Kalifornien.

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"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.05 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 6. Juni 2016 ebenfalls an den Tod von Stan Getz. Auch das "ZeitZeichen" gibt es als Podcast.