"Der 7. Sinn" - 1966

Stichtag

4. Februar 1966 - "Der 7. Sinn" läuft erstmals im Fernsehen

An einem Samstag sitzt ein junger Mann mit seiner Liebsten im Auto auf der Neckarwiese bei Heidelberg. Alles könnte so schön sein, aber das Terrain ist abschüssig, die Handbremse nicht angezogen. Im Taumel des Begehrens stößt ein Knie der beiden verschlungenen Körper gegen die Gangschaltung. Der Wagen rollt ins Hafenbecken.

Zum Glück hat der Mann am Vortag im Fernsehen die Verkehrserziehungssendung "Der 7. Sinn" gesehen, und da war die Befreiung von Körpern aus versinkenden Wagen gerade Thema. Er habe "sich genauso verhalten, wie wir das gezeigt haben“, wird Sprecher Egon Hoegen sich später erinnern. "Und da sind die Zwei lebend aus dem Auto herausgekommen." Mit enormer Werbewirkung für die Sendung: "7. Sinn rettete Liebespaar das Leben" titelt eine große deutsche Zeitung.

Umsicht, Voraussicht, Vorsicht

Der "7. Sinn" wird aus der Not geboren. Mitte der 1960er Jahre stirbt im Durchschnitt alle halbe Stunde ein Mensch in Deutschland bei einem Verkehrsunfall. Jedes Jahr sind zwischen 16.000 und 17.000 Opfer zu beklagen. Die Deutsche Verkehrswacht wendet sich deshalb an den Westdeutschen Rundfunk (WDR). Die Idee, die Bundesbürger mit Aufklärungsfilmen zu einem besseren Verkehrsverhalten zu erziehen, leiht man sich aus Dänemark, den Titel auch. "Umsicht, Voraussicht, und wenn nötig: Vorsicht", lautet das Motto. "Das ist der 7. Sinn."

Anfangs kommt die Verkehrsbelehrung des "7. Sinns" noch arg philosophisch daher. Auch sind die Filme noch komplett gezeichnet. Beim Publikum kommt das nicht an. Deshalb wird Alfred Noell ins Team geholt, der mit Verkehrsbelehrung im Regionalprogramm schon Erfahrungen sammeln konnte. Und der schon seit seiner Jugend Rallyes fährt. Unter seiner Ägide schwenkt die Sendung auf Realfilm um. Und sie versucht, mit besonders spektakulären Bildern auf Gefahren aufmerksam zu machen - immer unterlegt von der markanten Stimme Egon Hoegens.

Auf den nächsten bumsen

Durch den "7. Sinn" erfährt der Bundesbürger anhand von Melonenversuchen, wie lebensrettend Helme im Straßenverkehr sein können. Auch Innovationen wie ABS, Airbag oder Automatikgurt testet der "7. Sinn" auf ihre Verlässlichkeit. Um zu demonstrieren, was passiert, wenn ein Lkw mit voller Wucht auf ein Hindernis auffährt, wird eigens ein Autobahnstück gesperrt und ein Demonstrationslaster mit Vollgas auf 70 parkende Autos losgelassen. Die Fahrer der Sendung kommen zum Teil vom WDR und werden so zu Fernsehstars. Bei besonders gefährlichen Stunts sitzt Noell persönlich am Steuer. Das geht rund 200 Folgen gut – bis Noells Frau droht, sich scheiden zu lassen: Schließlich habe sie "einen Filmemacher geheiratet und keinen Stuntman!"

"Der 7. Sinn" ist nicht nur in Deutschland ein Quotenhit, er wird auch zum Exportschlager. In 50 Ländern wird die Sendung ausgestrahlt, in afrikanischen Staaten liebt man vor allem die Folgen im Schnee. In den 70er Jahren sorgen aber auch frauenfeindliche Kommentare für Schlagzeilen. "Viele Frauen scheuen das Anlegen des Sicherheitsgurts, weil sie Angst um ihren Busen haben", heißt es da zum Beispiel. Zu "Verkehrsspitzenzeiten" solle man Gattinnen ohnehin besser nicht an Steuer lassen. Dabei bekommt das starke Geschlecht ebenso sein Fett weg: "Und weil er sich im Straßenverkehr häufig von langen Haaren ablenken lässt, bumst er schon wieder auf den nächsten."

2005 wird "Der 7. Sinn" eingestellt. Da hat sich die Zahl der Verkehrstoten auf 3.500 jährlich eingependelt. "Ich will auf keinen Fall behaupten, dass der '7.Sinn' die Unfallzahlen gesenkt hat", sagt Noell. "Aber er hat dazu beigetragen."

Stand: 04.02.2016

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