Rosa von Praunheim in SFB-Sendung "Alex" / November 2002

10. Dezember 1991 - Rosa von Praunheim outet homosexuelle Prominente

Stand: 10.12.2016, 00:00 Uhr

"Ist doch prima gelaufen", zitiert die 'Berliner Zeitung' nach der Show einen sichtlich zufriedenen Ulrich Meyer. Mit seiner neuesten Ausgabe von "Explosiv - Der heiße Stuhl" hat der zackige Moderator dem Sender RTL gerade dicke Schlagzeilen gesichert. "Schwulen-Verrat im TV", empört sich 'Bild' denn auch verlässlich auf der Titelseite. "Hape Kerkeling zum Geständnis gezwungen: Ja, ich bin schwul! 3,2 Millionen Deutsche wurden Zeuge des unglaublichen TV-Skandals."

Auf Meyers "heißem Stuhl" macht Regisseur und Schwulenaktivist Rosa von Praunheim am 10. Dezember 1991 die Homosexualität der Fernsehstars Hape Kerkeling und Alfred Biolek publik. Medienwirksames Outing von Prominenten gegen deren Willen kennt man bis dato nur aus den USA. Radikale Schwulenorganisationen wollen so von uneingestanden homosexuellen Idolen mehr Solidarität einfordern. "Kerkeling ist jung, hübsch und Sympathieträger. Er sollte seine Homosexualität offenbaren", fordert Praunheim bei RTL und legt nach: "Guck dir Bio an, der ist unheimlich beliebt, der ist morgen wieder auf dem Kanal, warum kann der nicht einfach sagen: Ich bin schwul?"

Biolek: Zwangsouting war ein Schlag

Ein freiwilliges Coming out habe Kerkeling ihm gegenüber am Telefon abgelehnt - vorerst zumindest, räumt Filmemacher Praunheim ein. Kerkeling beschreibt seine Reaktion auf den Anruf so: "Was geht denn jetzt ab, was mischt der sich denn ein?" Während der Sendung habe er vor allem an seine Tante Lisbeth, eine Nonne, gedacht: "Wenn die das sieht, bin ich geliefert, und das war ich dann auch erst mal." Alfred Biolek, der seine sexuelle Identität bislang weder versteckt noch vor sich her getragen hat, verweigert stinksauer jeden Kommentar. Erst mit einigem zeitlichen Abstand bekennt der Showmaster, das Zwangsouting sei ein Schlag für ihn gewesen: "Aber irgendwie war das auch ganz gut und seither ist Ruhe im Karton."

Undiplomatisch, störrisch und eigenwillig, so beschreibt Rosa von Praunheim, der eigentlich Holger Mischwitzky heißt, sich selbst. Sein Film "Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt" macht ihn 1971 als radikalen Kämpfer für schwul-lesbische Rechte bekannt. In den 80er-Jahren wird das HIV-Virus mit beängstigender Geschwindigkeit zur weltweiten tödlichen Bedrohung. Als sich 1985 sogar Hollywood-Frauenschwarm Rock Hudson kurz vor seinem Aids-Tod als homosexuell outet, breitet sich in der Bevölkerung eine fast panische Angst vor der vermeintlichen "Lustseuche" aus.

Bedrohliche Diskriminierung von Schwulen

Vor diesem Hintergrund müsse man Rosas TV-Auftritt sehen, meint Helmut Metzner vom Bundesvorstand des Lesben- und Schwulenverbandes: "Durch die beinahe hysterische Umgehensweise mit HIV und Aids sind gerade Homosexuelle als Risikogruppe ins Blickfeld geraten." Besonders schwule Männer seien auf "teilweise bedrohliche Weise" diskriminiert worden, so Rosa von Praunheim. Bayerns Staatssekretär Peter Gauweiler etwa habe gefordert, Schwule von Gastronomie- und Pflegeberufen auszuschließen. "Gerade in dieser Krise, wo so viele Freunde und Bekannte um mich herum starben, wollte ich nicht einfach glamourös durch die Talkshows tanzen. Ich wollte was tun, damit sich was ändert."

Für sein Prominenten-Outing hat Praunheim viel Prügel eingesteckt. Seither ist es ruhiger geworden um die schwule Gallionsfigur, der häufiger auch ausgeprägtes Talent zur Eigen-PR nachgesagt wurde. In einem Zeitungsinterview gesteht der Filmemacher 2015: "Damals habe ich mich selbst schachmatt gesetzt. Eine regelrechte Hasswelle von Schwulen und Heteros hat mich danach überrollt." Heute reize es ihn zwar noch, Schwule zu outen, die sich extrem unsolidarisch verhalten, anti-schwule Politiker etwa oder bigotte Kirchenmänner. "Aber das mache ich nicht mehr, das müssen andere machen." Hape Kerkelings Urteil über sein Outing beim "heißen Stuhl" fällt inzwischen milde aus: "Damals war es nicht richtig, es zu tun. Aber aus heutiger Sicht war es nicht falsch."  

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"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 10. Dezember 2016 ebenfalls an Rosa von Praunheims Prominenten-Outing. Auch das "ZeitZeichen" gibt es als Podcast.

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