Bayerischer Landesordnung von 1516 zum Reinheitsgebot (Ausriss)

23. April 1516 - Bayerische Landesordnung zum Reinheitsgebot für Bier

Stand: 23.04.2016, 00:00 Uhr

Einen urbayerischen Bierliebhaber müsste es in der Helios-Braustelle vor Grausen schütteln. Kölns "kleinste Brauerei" (Eigenwerbung) in Ehrenfeld bewirtet seine Gäste mit Kräuterbieren wie dem Pink Panther, einem Hibiskusbier, oder dem Einkorn Gose mit Koriandersamen und Himalayasalz. Nach den Regeln des 500 Jahre alten bayerischen Reinheitsgebots gehören aber ausschließlich Gerste, Hopfen, Malz und Wasser ins Bier.

Der Braustellen-Wirt Peter Esser, immerhin diplomierter Braumeister, nimmt es mit dem angeblich ältesten deutschen Lebensmittelgesetz nicht so genau. Was in den Sudkessel kommt, bestimmt sein "Ehrenfelder Reinheitsgebot von 2001", das da lautet: "Es kommt alles rein, was schmeckt und dem Menschen gut tut." Das bajuwarische Gebot, meint Esser schmunzelnd, sei sowieso nur ein cleverer Werbecoup zum Wohle der bayerischen Brauwirtschaft. Ganz Unrecht hat er damit nicht.

Zum Wohle der Volksgesundheit

Regional geprägte Vorschriften über das Bierbrauen sind bereits vor dem viel gerühmten Reinheitsgebot von 1516 aktenkundig. Augsburgs Stadtherren legen schon Mitte des 12. Jahrhunderts Bestimmungen zur Herstellung des flüssigen Brotes fest. 150 Jahre später sorgt Nürnberg mit einer Bierverordnung für die Gesundheit seiner Bürger und den Schutz der heimischen Brauer. Der Erlass richtet sich gegen das aus dem Norden importierte billige Grut-Bier. Der Kräutersud für das einfache Volk enthält alles, was die Flora hergibt: Beifuß, Rosmarin, Salbei, Thymian oder Schafgarbe. Absichtlich oder zufällig gerät aber auch Berauschendes und Tödliches wie Tollkirsche, Stechapfel oder Bilsenkraut ins Grut – mit entsprechenden Folgen für die Volksgesundheit.

Am Brauwesen wie an den katastrophalen hygienischen Zuständen ändert sich in den folgenden zwei Jahrhunderten wenig. Das Trinkwasser wimmelt vor Krankheitserregern, während Bier durch den Sudprozess sterilisiert wird und deshalb für die Volksernährung unentbehrlich ist. Am 23. April 1516 erlassen Bayerns Herzöge Wilhelm IV. und Ludwig X. in Ingolstadt eine Landesordnung, die sich in weiten Teilen mit der Bierherstellung befasst. "Ganz besonders wollen wir", heißt es unter anderem, "dass forthin in unseren Städten und Märkten und auf dem Lande zu keinem Bier mehr Stücke als allein Gersten, Hopfen und Wasser verwendet und gebraucht werden sollen." Zudem bestimmt die Landesordnung Preisgrenzen, damit der Gerstensaft für alle bezahlbar bleibt.

Reinheitsgebot – eine moderne Erfindung

Als einzige Neuerung gegenüber seinen Vorläufern nimmt das Edikt von 1516 den Hopfen in die Braurezeptur auf. In erster Linie soll es als frühes Anti-Drogen-Gesetz die psychoaktiven und giftigen Stoffe im Bier ausmerzen. Zum anderen soll die Verwendung von Gerste die Lebensmittelknappheit verringern, weil mehr wertvolles Getreide wie Weizen und Roggen zu Brot gebacken werden kann. Nebenher füllt der Erlass auch die Kassen der Wittelsbacher, denn sie kassieren die Steuer auf Gerste. Mit der Gewährung teurer Weizenbier-Lizenzen erschließen sich Bayerns Regenten später endlos sprudelnde Einnahmequellen.

Unter den Nachkommen von Wilhelm IV. und Ludwig X. gerät die strenge Landesordnung allmählich in Vergessenheit. Je nach Tradition braut man mit Lorbeer und Koriander, Kümmel oder Wacholder. Bier-Liebhaber und Experten wie der Kölner Braumeister Peter Esser haben diese Spezialitäten wiederentdeckt. Immer mehr lokale Klein- und Mikrobrauereien bieten heute mit sogenannten "Craft-Bieren" - der Name stammt vom englischen Wort für Handwerk - exotische Geschmacksalternativen zu Pils, Kölsch oder Alt. Gegen das Reinheitsgebot von 1516 verstoßen sie dabei kaum; diese Bezeichnung kommt in der herzogliche Landesordnung gar nicht vor. Sie wird erst 1918 geprägt, als Bayerns Brauereien mit dem historischen Qualitätslabel einen Werbefeldzug gegen die Konkurrenz aus England starten.

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