Ein Opfer der Pockenepidemie von 1970 in Meschede wird von Helfern mit Mund-und Atemschutz in einen Krankenwagen verladen

10. Januar 1970 - Pocken-Epidemie bricht in Meschede aus

Stand: 10.01.2020, 00:01 Uhr

Ein 20-jähriger Elektromonteur aus Meschede kommt von einer Reise nach Pakistan am Düsseldorfer Flughafen an. Während der Reise hatte er sich zwar in Istanbul gegen die Pocken impfen lassen, aber erfolglos. Auch sein Impfbuch ist lückenhaft. Doch seit der Impfpflicht von 1874 sind die Kontrollen in Deutschland lasch geworden – auch bei Reisenden die aus Ländern kommen, in denen die Pocken noch grassieren.

Die Pocken brechen in Meschede aus (am 10.01.1970)

WDR 2 Stichtag 10.01.2020 04:09 Min. Verfügbar bis 07.01.2030 WDR 2


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So kommt der Mann unbehelligt mit Fieber zu Hause in Meschede an. Als im Krankenhaus die Diagnose Pocken gestellt wird, sind bereits drei Krankenschwestern und weitere Patienten infiziert. Meschede im Sauerland ist ab dem 10. Januar 1970 Pockensperrbezirk.

Ausgrenzung des Erkrankten

Auch die Krankenschwester Magdalena Drinhaus, damals im ersten Lehrjahr, steckt sich an, obwohl sie eine Etage über der Station, in der der Erkrankte liegt, arbeitet. "Hinterher ist festgestellt worden, dass die Viren wohl durch das Treppenhaus nach oben gelangt sind", erinnert sie sich. Acht Wochen verbringt sie in Quarantäne, auf einer Seuchenstation in Wimbern.

Zwanzig Menschen erkranken, vier sterben. Der 20-jährige Elektromonteur überlebt. Die Medien berichten landesweit von dem kiffenden Hippie, der die Pocken aus Pakistan nach Deutschland eingeschleppt hat. "Das führte zu massiver Ausgrenzung und Morddrohungen gegen den Pockenträger. Es kam auch zu Aktionen gegen Meschede im Allgemeinen", sagt der Medizinhistoriker Malte Thießen vom LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte. So sollen Fahrzeuge mit dem Kennzeichen MES teilweise an Tankstellen nicht bedient worden seien.

Als eine 17-jährige vorher ungeimpfte Schwesternschülerin an den Pocken stirbt, will niemand die Leiche in ihre Heimatstadt Dortmund überführen. Der Gemeindedirektor von Wickede, wo die Erkrankte auf der Quarantänestation lag, fährt schließlich den Leichenwagen. Danach wird auch er gemieden. "Ich wurde sogar wesentlich weniger angerufen, obwohl das nach wie vor ungefährlich war", erinnert er sich.

Angst vor der Seuche wie im Mittelalter

Die Panik wird erst eingedämmt, als die Behörden intensiv über Pocken aufklären. Rund 24.000 Menschen im Sauerland lassen sich impfen, ein Schutz, der auch bei akuter Gefahr wirkt.

Für den Medizinhistoriker Malte Thießen zeigt der Fall exemplarisch, wie groß die Angst vor Ansteckung bei einer Epidemie ist – bis heute. "Wir schieben solche Reaktionsweisen wie Ausgrenzung von Fremden oder Einzelnen bei Seuchenausbrüchen immer schnell auf das Mittelalter. Aber altertümliche Verhaltensweisen können sehr schnell wieder hochkommen."

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