Napoleon beim Übergang über den Großen St. Bernhard / Gemälde von Jacques-Louis David, 1801

11. November 1797 - Napoleon prägt angeblich den Begriff der "Grande Nation"

Stand: 11.11.2017, 00:00 Uhr

Ist in deutschsprachigen Medien von Frankreich die Rede, hört oder liest man häufig das Synonym der "Grande Nation". Noch immer herrscht hierzulande die Ansicht vor, Napoleon Bonaparte sei der Urheber des Begriffs von der "Großen Nation" und dieser bis heute eine in Frankreich geläufige Eigenbezeichnung.

Den Franzosen allerdings ist dieses patriotische Synonym für ihr Land absolut unbekannt. Selbst wenn Staatspräsident Emmanuel Macron – wie alle seine Vorgänger auch – gern mit pathetischen Worten an den Nationalstolz seiner Landsleute appelliert: Der Ausdruck "Grande Nation" kommt ihm dabei nicht über die Lippen.

Napoleon prägt Begriff der "Grande Nation" (am 11.11.1797)

WDR 2 Stichtag 11.11.2017 03:53 Min. Verfügbar bis 09.11.2027 WDR 2


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Erste Fundstellen bei deutschen Literaten

Unter dem Titel "Grande Nation – Über einen groben (sprachlichen) Unfug" hat sich der Freiburger Romanist Hans-Martin Gauger 2010 intensiv mit der Entstehung und Verbreitung des Begriffs befasst. Aus guten Gründen kommt er zu dem Schluss: "Man sollte ihn einfach nicht mehr verwenden!" Die erste Erwähnung der "Grande Nation" findet sich nach Gaugers Forschungen bei Christoph Martin Wieland, einem der bedeutendsten Schriftsteller der deutschen Aufklärung.

1790, im Jahr nach Beginn der Französischen Revolution, schreibt Wieland: "…aber daß eine große Nation, die sich in die Notwendigkeit versetzt sieht, das Recht des Stärkeren gegen ihre Unterdrücker geltend zu machen, ihre Stärke mit solcher Weisheit gebrauche…". Dabei benutze Wieland aber, wie Glauger betont, den unbestimmten Artikel 'ein', spreche also nicht von 'der' großen Nation.

Die "große Nation" bei Goethe

Durch die Beseitigung von Monarchie und Ständen, die Einführung der Gleichheit aller Bürger und der Gewaltenteilung sowie durch Abschaffung der Provinzen, begründet die Revolution erstmals einen zentralisierten französischen Nationalstaat. In den von Königen und Fürsten beherrschten und nach Freiheit dürstenden deutschen Landen finden die Errungenschaften der Franzosen viele Verehrer.

Zu ihnen zählt auch Johann Wolfgang von Goethe, der 1792 die Kanonade von Valmy miterlebt. Vom Beginn des Siegeszuges der Revolutionstruppen gegen Europas Mächte tief beeindruckt, erklärt Goethe: "Von hier und heute geht eine neue Epoche der Weltgeschichte aus, und ihr könnt sagen, ihr seid dabei gewesen.“ 1795 dann lässt der Dichterfürst und spätere Napoleon-Bewunderer in dem Erzählwerk 'Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten' einen Protagonisten auch von "la grande nation" sprechen.

In der Mottenkiste der Geschichte

Napoleon im Arbeitszimmer mit Hand in der Weste (Gemälde von Jacques-Louis David, 1812)

Kaiser Napoleon I., Gemälde von Jacques-Louis David (1812)

Napoleon, soviel ist sicher, hat den Begriff also nicht erfunden, aber immerhin mehrfach verwendet. So schreibt der spätere Kaiser der Franzosen nach seinem grandiosen Italienfeldzug Ende Oktober 1797 siegestrunken an Außenminister Talleyrand: "Wir werden für lange Zeit die große Nation und Schiedsrichter über Europa sein." Kurz darauf spricht Napoleon auch bei einer Rede vor dem Direktorium von Frankreich als "Grande Nation".

Unter dem Joch der napoleonischen Herrschaft erstirbt in Deutschland die Bewunderung für die revolutionären Errungenschaften der Franzosen. Nach der finalen Niederlage des Kaisers bei Waterloo schrumpft Frankreich wieder auf seine Grenzen vor 1792 zusammen. Der Traum von der "Grande Nation" ist endgültig ausgeträumt und der Begriff verschwindet in der Mottenkiste der Geschichte. Und dort, so fordert der Romanist Hans-Martin Gauger, sollte er bleiben - auch im deutschen Sprachgebrauch. 

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