Marcel Reich-Ranicki, Literaturkritiker (Aufnahme von 1997)

2. Juni 1920 - Marcel Reich-Ranicki wird geboren

Stand: 02.06.2020, 00:00 Uhr

"Um Gottes willen, warum bin ich verurteilt, diese Art Literatur zu lesen? Das ist ein lächerliches Niveau, ein Geschwätz sondergleichen." Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki ist kein Mann der leisen Töne. Mit Witz und Temperament begeistert er in der Büchersendung "Das Literarische Quartett" ein Millionenpublikum.

Er wird aber auch gehasst. Vor allem von den Autoren, deren Werk er verrissen hat - und die ihn deshalb den "Reißwolf der Literatur" nennen. Doch für Reich-Ranicki ist klar: "Der Kritiker muss über Mut verfügen: über die Fähigkeit, sich zu entscheiden, klar zu sagen, ja oder nein."

Marcel Reich-Ranicki, Literaturkritiker (Geburtstag 02.06.1920)

WDR 2 Stichtag 02.06.2020 04:16 Min. Verfügbar bis 31.05.2030 WDR 2


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Flucht in die Literatur

Geboren wird Marcel Reich-Ranicki am 2. Juni 1920 in Włocławek in Polen, das dritte Kind eines polnischen Vaters und einer deutschen Mutter. Als er neun Jahre alt ist, zieht die jüdische Familie nach Berlin.

Bei Hitlers Machtübernahme ist er zwölf und besucht das Gymnasium. Er wird als Außenseiter behandelt und flüchtet sich in die Literatur. Bereits mit 14 hat der Hochbegabte sämtliche Dramen von Schiller und Shakespeare gelesen.

Im Warschauer Ghetto

Nach dem Abitur wird er 1938 nach Warschau deportiert und 1940 mit seiner Familie ins Ghetto gesperrt. Er muss zusehen, wie seine Eltern zum Bahnhof getrieben werden - zur Fahrt in die Gaskammern.

Reich-Ranicki und seine Frau Tosia können fliehen und sich bei einem polnischen Paar verstecken. Um nicht weggeschickt zu werden, beginnt Reich-Ranicki stundenlang zu erzählen, was er gelesen hat - zum Beispiel "Kabale und Liebe", "Hamlet" und "Romeo und Julia".

Vom Nachrichtendienst zur Literatur

Nach dem Zweiten Weltkrieg wird Reich-Ranicki Nachrichtenoffizier und polnischer Konsul in London, bevor er sich wieder der Literatur zuwendet. 1958 kehrt er nach Deutschland zurück. Zunächst wird er Kritiker bei der "Zeit", später Literatur-Chef der FAZ.

Als Reich-Ranicki 1988 das Rentenalter erreicht, geht die Karriere weiter: "Das Literarische Quartett" macht ihn zum Medienstar. Aber auch manche seiner Gegner sind prominent, unter anderem die Autoren Martin Walser und Günter Grass.

Fernsehpreis abgelehnt

Reich-Ranicki wird mit Auszeichnungen überschüttet. Eine Ehrung weist er jedoch zurück: 2008 lehnt der 88-Jährige vor laufender Kamera den Deutschen Fernsehpreis für sein Lebenswerk ab - und bringt Moderator Thomas Gottschalk in Verlegenheit.

Ihrer Freundschaft schadet das nicht. Als Marcel Reich-Ranicki am 18. September 2013 in Frankfurt stirbt, hält Gottschalk die Trauerrede.

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"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 2. Juni 2020 ebenfalls an Marcel Reich-Ranicki. Auch das "ZeitZeichen" gibt es als Podcast.

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