Geburts-/Sterbehaus  von Dorothea Erxleben in Quedlinburg

Stichtag

13. November 1715 - Dorothea Christiane Erxleben wird geboren

Die akademische Welt des 18. Jahrhunderts steht ausschließlich Männern offen. Frauen in der Wissenschaft, das ist für die Universitäten jener Zeit schlicht unvorstellbar. Nicht aber für Dorothea Christiane Erxleben, die am 13. November 1715 in Quedlinburg im heutigen Sachsen-Anhalt zur Welt kommt.

Studieren zu dürfen ist der Lebenstraum der Tochter eines angesehenen Arztes. Überzeugt vom weiblichen Recht auf Bildung rechnet sie in einem viel beachteten Werk mit den herrschenden Vorurteilen gegenüber Frauen und ihrer angeblichen Unfähigkeit zur Gelehrsamkeit ab. Dorothea Christiane Erxleben erreicht ihr Ziel auf beeindruckende Weise. Ohne selbst je eine Universität besucht zu haben, promoviert sie als erste Frau in Deutschland zum Doktor der Medizin.

Promotion mit königlichem Privileg

Dorothea fällt als junges Mädchen durch große naturwissenschaftliche Wissbegierde und einen scharfen Verstand auf. Der Vater, Stadtphysicus von Quedlinburg, fördert ihre Begabung und unterrichtet sie gemeinsam mit ihrem Bruder Christian. Bald begleitet Dorothea den Vater zu Patienten und assistiert in der Praxis, hin und wieder vertritt sie ihn sogar. Mit hellem Verstand erarbeitet sie fundierte Therapien statt der bei ihren männlichen Kollegen durchaus üblichen Quacksalberei und Beutelschneiderei. 1740 beginnt der Bruder sein Medizinstudium in Halle und Dorothea notiert: "Wie oft habe ich mir gewünscht, mit ihm gleiches Glück zu genießen (…)." Statt zu resignieren, bringt Dorothea ihre Gedanken über die hanebüchenen Vorurteile zu Papier, mit denen Frauen diskriminiert werden.

In ihrer "Gründlichen Untersuchung der Ursachen, die das weibliche Geschlecht vom Studieren abhalten" widerlegt Dorothea Erxleben schlüssig die tradierten Maximen der Unvereinbarkeit von Weiblichkeit und Bildung. Die Abhandlung beeindruckt sogar Friedrich II. von Preußen. 1741 spricht der König seiner emanzipierten Untertanin das Privileg aus, an der Universität Halle einen akademischen Grad zu erwerben. Das heiß ersehnte Studium muss trotzdem warten. Dorotheas Kusine Sophie stirbt und die angehende Ärztin heiratet, wohl weniger aus Liebe denn aus Fürsorge, Sophies Witwer Johann Christian Erxleben. Der 18 Jahre ältere Diakon bringt fünf kleine Kinder mit in die Ehe.

Ihrer Zeit weit voraus

Obwohl das Paar rasch noch vier weitere Kinder bekommt, setzt Dorothea privat ihr theoretisches Studien der Naturwissenschaften fort. Neben dem Haushalt praktiziert sie zudem als Ärztin und führt nach dem Tod des Vaters 1747 dessen Praxis weiter. Als eine ihrer Patientinnen stirbt, bezichtigen die Quedlinburger Heilkünstler die verhasste Rivalin der Kurpfuscherei, empören sich, dass die Erxleben "Patienten öffentlich besuchet und sich ohne Scheu 'Frau Doctorin' grüßen lässt". Dorothea Erxleben wehrt sich selbstbewusst, indem sie ihr Promotionsrecht nutzt. Anfang 1754, kurz nach Geburt ihres vierten Kindes, legt die 38-Jährige ihre Dissertation "Von der gar zu geschwinden und angenehmen aber deswegen öfters unsichern Heilung von Krankheiten" der Universität zu Halle vor. Im Mai wird sie zum Rigorosum, der mündlichen Schlussprüfung, vorgeladen.

Nach zweistündiger Examinierung sind die Hallenser Professoren tief beeindruckt von ihren in brillantem Latein vorgetragenen Ausführungen. Die Kandidatin habe alle Fragen "mit solch gründlicher Akkuratesse und bescheidener Beredsamkeit beantwortet, dass alle Anwesenden damit vollkommen vergnügt waren", lassen die Prüfer König Friedrich II. wissen. Am 18. Mai 1754 ordnet Majestät die erste Verleihung des Doktortitels an eine Frau an. Mit ihrer Leistung und ihrem Kampf für das Frauenstudium ist Dorothea Christiane Erxleben der Zeit weit voraus. Erst fast 140 Jahre nach ihrem Tod im Jahr 1762 werden Frauen in Deutschland offiziell zu medizinischen Staatsprüfungen zugelassen.

Text

Stand: 13.11.2015

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