Karl Georg Saebisch (li.) und Herbert Tiede (re.) in "Der Richter und sein Henker" (1957)

7. September 1957 - Erster abendfüllender Fernsehfilm

Stand: 07.09.2017, 00:00 Uhr

Ein Auto fährt durch die Nacht; an der Landstraße winkt ein Mann. Plötzlich zerreißt ein Schuss die Stille und Polizeileutnant Schmied ist tödlich getroffen. Kaum hat sich zum ersten Mal ein ARD-Fernsehspielteam aus dem Studio nach draußen gewagt, liegt schon eine Krimi-Leiche in der Landschaft.

Mit diesem hinterhältigen Mord startet der Süddeutsche Rundfunk (SDR) am 7. September 1957 ein neues Kapitel deutscher Fernsehgeschichte. "Der Richter und sein Henker", gedreht nach dem gleichnamigen Roman von Friedrich Dürrenmatt, ist der erste abendfüllende Fernsehfilm, der die Zuschauer wie ein Spielfilm mit Außenaufnahmen fesselt.

Erster abendfüllender Fernsehfilm im Ersten (am 07.09.1957)

WDR 2 Stichtag 07.09.2017 03:49 Min. Verfügbar bis 05.09.2027 WDR 2


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Kein Meter Film dem Fernsehen

Die Anfänge des Fernsehens in der Bundesrepublik liegen gerade einmal fünf Jahre zurück. Nur 1.000 noch sündhaft teure Flimmerkisten sind auf Empfang, als der NWDR am 1. Weihnachtstag 1952 den regulären Sendebetrieb mit dem Fernsehspiel "Stille Nacht, heilige Nacht" beginnt. Die Schauspieler agieren wie im Theater live vor den Kameras, denn Aufzeichnungsmaschinen gibt es noch nicht.

Auch 1957 steckt das Fernsehen noch in den Kinderschuhen. Kinofilme gibt es nicht zu sehen, weil deutsche Filmproduzenten die ungeliebte neue Konkurrenz boykottieren. "Kein Meter Film dem Fernsehen" habe die Parole damals gelautet, weiß der Kölner Medien-Professor Dietrich Leder. Die Fernsehpioniere der ARD-Anstalten füllen deshalb die Sendezeit mit allem, was die Bühnenliteratur vom 19. Jahrhundert bis zu modernen Autoren hergibt – live inszeniert im Gedränge winziger Studios.

Autoverfolgung auf der Studioleinwand

 Friedrich Dürrenmatt (1921-1990) an seinem Schreibtisch.

Dramatiker Friedrich Dürrenmatt

Auch beim Südfunk Stuttgart realisiert der Regisseur Franz Peter Wirth unter solchen Bedingungen alle vier bis sechs Wochen ein Fernsehspiel. Er sucht nach Wegen, um endlich auch außerhalb des Studios drehen zu können. "Als wir Dürrenmatts Buch 'Der Richter und sein Henker' gelesen hatten, war uns klar: Das muss man machen", erinnert sich der Regie-Routinier Wirth. "Kurzentschlossen stürzten wir uns in das Abenteuer und wussten eigentlich gar nicht, was da auf uns zukommt."

Schauplatz der Außenaufnahmen zu dem Dürrenmatt-Krimi ist die Schweiz, gedreht wird im 35-Millimeter-Format. Das Produktionsbudget beträgt knapp 100.000 Mark – eine horrende Summe für ein Fernsehspiel, doch nur ein Zehntel der Kosten für einen Kinofilm. Die Action, schränkt der Fernsehexperte Leder ein, "ist noch ein bisschen ungelenk inszeniert, da die Ausbildung für Stunts oder Maske etwa noch nicht so fortgeschritten ist". Autoszenen und eine wilde Verfolgungsjagd werden als Rückprojektionen im Stuttgarter Studio gedreht.

Zum Jubiläum vom Bildschirm verbannt

Mit "Der Richter und sein Henker" erobert das Fernsehen eine neue Form des fiktionalen Erzählens. Ein Startschuss in eine neue Ära, wie Regisseur Franz Peter Wirth am Vorabend der Erstausstrahlung in der Tagesschau erklärt: "Das Programm wird ausgeweitet werden, wir brauchen also viel mehr Programm, also muss man filmen." Zudem sei Film ein konservierbares Medium, das beliebig gesendet und wiederholt werden kann. Ein Vorzug, von dem das Fernsehen vor allem nach Einführung der Magnetaufzeichnung (MAZ) weidlich Gebrauch machen wird.

Der doppelbödige Psycho-Krimi von Friedrich Dürrenmatt findet sich allerdings zum 60. Jahrestag seiner TV-Premiere nirgendwo im Programm. Alte Filme, gedreht in Mono, Schwarz-Weiß und im Bildformat 4:3, stehen beim Zuschauer nicht mehr hoch im Kurs. Wer trotzdem eine spannende Reise in die Fernsehvergangenheit unternehmen will, kann sich Franz Peter Wirths Erstverfilmung von "Der Richter und sein Henker" auf DVD anschauen.

Programmtipps:

Auf WDR 2 können Sie den Stichtag immer gegen 9.40 Uhr hören. Wiederholung: von Montag bis Samstag um 18.40 Uhr. Der Stichtag ist nach der Ausstrahlung als Podcast abrufbar.

"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 7. September 2017 ebenfalls an den ersten abendfüllenden Fernsehfilm. Auch das "ZeitZeichen" gibt es als Podcast.

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