Der SPD-Vorsitzende Willy Brandt (l.) gibt dem FDP-Vorsitzenden Walter Scheel vor Beginn der Koalitionsgespräche in Bonn am 01.10.1969 zur Begrüßung die Hand

28. September 1969 - Erste sozialliberale Regierung der Bundesrepublik

Stand: 28.09.2019, 00:00 Uhr

Bei der Bundestagswahl am 28. September 1969 stellt sich die Frage: Bleibt Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger (CDU) im Amt oder löst ihn der bisherige Außenminister und SPD-Vorsitzende Willy Brandt ab? Seit 1966 sind die Sozialdemokraten Juniorpartner in der ersten Großen Koalition.

Nun stehen die Zeichen auf Veränderung: Die FDP will zurück an die Macht - aber nicht mehr, wie unter den Kanzlern Konrad Adenauer und Ludwig Erhard, mit der Union, sondern mit der SPD. So erhofft es sich Walter Scheel, der neue Vorsitzende der Liberalen.

Brandt ergreift die Chance

Am Wahlabend liegen CDU/CSU vorn. "Wir sind absoluter Gewinner der Wahlen", stellt Kiesinger fest und leitet daraus den Machtanspruch für die Christdemokraten ab. Doch die Sozialdemokraten sehen das anders.

Sie wollen mit der FDP koalieren: "Die SPD tritt in die notwendigen Verhandlungen", so Brandt, "nicht im Gefühl des zweiten Siegers, sondern als die einzige Partei, deren Wahlergebnis ein Zuwachs an Vertrauen ausdrückt." Keine vier Wochen später ist er Kanzler.

Erste sozialliberale Koalition gewählt (am 28.09.1969)

WDR 2 Stichtag 28.09.2019 04:16 Min. Verfügbar bis 25.09.2029 WDR 2


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Mischung aus Bruch und Kontinuität

Die neue Regierung bringt viele Reformen auf den Weg: im Eherecht, im Strafvollzug, bei der betrieblichen Mitbestimmung, in Schule und Hochschule, Polizei und Justiz. Brandt verwendet dafür den Slogan: "Mehr Demokratie wagen!" Außenpolitisch setzt er auf eine neue Ostpolitik: "Wandel durch Annäherung".

Einen großen Neuanfang sieht Matthias Micus, Politikwissenschaftler an der Universität Göttingen, im Machtwechsel jedoch nicht. Vieles sei weitergeführt und nicht erst durch die sozialliberale Koalition begründet worden. "Insofern mischt sich ein bisschen Bruch und Kontinuität."

Von Brandt zu Schmidt

Brandts Entspannungspolitik tragen allerdings nicht alle FDP-Politiker mit. Erich Mende, Scheels Vorgänger als FDP-Chef, läuft zur CDU über, weitere Abgeordnete folgen. Die sozialliberale Bundestagsmehrheit schwindet. Ein konstruktives Misstrauensvotum von Rainer Barzel (CDU) scheitert knapp.

Brandt setzt auf Neuwahlen - und gewinnt: 1972 holt die SPD 45,8 Prozent, das beste Ergebnis ihrer Geschichte. 1974 endet Brandts Karriere jedoch plötzlich: Er tritt zurück, als sein engster Mitarbeiter Günter Guillaume als Stasi-Agent enttarnt wird. Sein Nachfolger wird Helmut Schmidt (SPD).

Als die FDP allerdings abermals eine Wende vollführt - diesmal hin zur Union -, endet die erste sozialliberale Koalition: Schmidt wird 1982 durch ein konstruktives Misstrauensvotum gestürzt und Helmut Kohl (CDU) kommt an die Macht.

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