8. November 1972 - Gründung des Deutschen Werberates

Stand: 08.11.2017, 00:00 Uhr

Balanceakte auf der Grenze des guten Geschmacks sind für Werber die sicherste Strategie, um im Reklamedschungel noch aufzufallen. Anfang 2017 etwa bewarb das Streamingportal Netflix eine neue Zombie-Comedyserie auf riesigen Plakaten mit einem zerstückelten, als Currywurst angerichteten Zeigefinger.

Solche gezielten Tabubrüche kommen bei Konsumenten nicht immer gut an. Im Fall der Netflix-Kampagne war die Empörung so massiv, dass das Unternehmen die beanstandeten Poster schnell wieder abhängte. Der Adressat für Beschwerden gegen als anstößig empfundene Werbung ist der Deutsche Werberat in Bonn.

Gründung des Deutschen Werberates (am 08.11.1972)

WDR 2 Stichtag 08.11.2017 04:15 Min. Verfügbar bis 06.11.2027 WDR 2


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Freiwillige Selbstkontrolle der Werbebranche

Gegründet wird der Deutschen Werberat am 8. November 1972 vom Zentralverband der Deutschen Werbewirtschaft (ZAW) in Bonn. "Er ist eine Institution zur Konfliktregelung zwischen werbenden Firmen, Agenturen und Medien einerseits sowie den umworbenen Verbrauchern anderseits", erklärt Volker Nickel, Gründungsmitglied des Werberats und langjähriger ZAW-Sprecher.

In Ergänzung zu geltenden Gesetzen schafft sich die Werbebranche damit ein freiwilliges Kontrollorgan, ähnlich der FSK in der Filmwirtschaft. Das Gremium erlässt und überwacht die Einhaltung von Regeln gegen Gewaltverherrlichung, Herabwürdigung und Diskriminierung, bei Werbung mit oder für Kinder und in streng reglementierten Bereichen wie der Alkohol- und Glücksspielbranche. Auch Klagen gegen unhaltbare Versprechen von Firmen und glatte Werbelügen rufen den Werberat auf den Plan.

Der Omo-Knoten verschwindet - Benetton siegt

Eine der bekanntesten Interventionen aus der Anfangszeit des Werberats gilt einem TV-Spot für ein Waschmittel, dem Omo-Knotentest: Stark verschmutztes Küchenhandtuch verknoten, ganz normal in Omo waschen und siehe da: Der Knoten ist außen und innen sauber - behauptet zumindest der Hersteller. Tests aber ergeben: Der Knoten bleibt dreckig und deshalb sorgt der Werberat dafür, dass der schmutzige Knotentest aus der Werbung verschwindet.

Für eine Welle der Empörung sorgt Anfang der 90er Jahre eine Werbekampagne des Textilherstellers Benetton. Großformatige Motive mit einer Nonne, die einen Pastor küsst, einem Häftling in der Todeszelle, ölverschmierten Meeresvögeln und einem sterbenden Aidskranken werden als pietätlos und zutiefst schockierend wahrgenommen. In diesem Fall erweist sich der Werberat allerdings als machtlos, denn Benetton wehrt sich gegen Klagen durch alle Instanzen. Schließlich erkennt das Bundesverfassungsgericht die Werbung unter Berücksichtigung des Rechts auf freie Meinungsäußerung als zulässig an.

Sexismus ganz oben auf der Beschwerdeliste

Loge des "Deutschen Werberats", Berlin

Logo des Deutschen Werberates

Mehr Erfolg hat der Werberat, als er einer Schnapsfirma auf die Finger klopft. Die hatte zu Weihnachten das Christkind präsentiert und dazu getextet: "Wir geben unserem Christkind immer ein paar Flaschen zum Aufwärmen mit." Verharmlosung von Alkoholmissbrauch und Verletzung religiöser Empfindungen, so das Urteil der Bonner Werbewächter. Thema Nr. 1 unter den eingereichten Beschwerden sei aber nach wie vor Sexismus und die Diskriminierung von Frauen, berichtet Volker Nickel. Typisches Beispiel: Eine Autoteile-Firma wirbt in ihrem Katalog mit einer Nackten inmitten von Zubehörteilen. Darüber steht: "Verschleißteile".

Insgesamt sind seit Gründung des Deutschen Werberats rund 24.000 Beschwerden zu etwa 9.500 Werbemaßnahmen in Bonn eingegangen. Ein Drittel davon, so Nickel, seien als berechtigt anerkannt worden. Verbote allerdings kann der Werberat nicht aussprechen. Zeigen sich Werbetreibende uneinsichtig gegen Kritik, sanktioniert dies der Werberat mit einer öffentlichen Rüge – für Nickel ein durchaus wirksames Mittel: "Die Wirkung einer solchen Anprangerung ist enorm, weil die Firmen sehr gut wissen: Aufsehen ist noch kein Ansehen!"

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