Eine Packung Contergan

10. April 1970 - Grünenthal zahlt 100 Millionen DM an Contergan-Opfer

Stand: 10.04.2020, 00:00 Uhr

Im Oktober 1957 bringt die Firma Grünenthal aus Stolberg bei Aachen ein neues Beruhigungs- und Schlafmittel auf den Markt: Contergan. "Dieses gefahrlose Medikament belastet den Leberstoffwechsel nicht, beeinflusst weder den Bluthochdruck noch den Kreislauf und wird auch von empfindlichen Patienten gut vertragen", behauptet die Werbung.

Contergan ist in den Apotheken frei verkäuflich, ohne Rezept. Das Innenministerium in NRW hat das Mittel mit dem neuen Wirkstoff Thalidomid schon ein Jahr zuvor zugelassen. Ein vorgeschriebenes Testverfahren für Medikamente gibt es in Deutschland zu dieser Zeit nicht.

Contergan-Opfer werden entschädigt (am 10.04.1970)

WDR 2 Stichtag 10.04.2020 04:10 Min. Verfügbar bis 08.04.2030 WDR 2


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Was ist mit Nebenwirkungen?

Contergan wird für Grünenthal zum Kassenschlager: Rund 20 Millionen Pillen werden pro Monat verkauft. Das Mittel wird in 40 Länder exportiert. Die Behörden in den USA allerdings lassen Thalidomid nicht zu. Sie halten die Nebenwirkungen für zu wenig erforscht. Auch bei Grünenthal gehen zwischen 1959 und 1961 mehrere tausend Anfragen und Hinweise zu dem Verdacht ein, Contergan könne bei Patienten Nervenschäden hervorrufen. Das Firmen-Labor testet das Mittel an Ratten, findet keine Nervenschäden und hält deshalb einen Zusammenhang nicht für gegeben.

Erst 1961 tauchen Berichte über rätselhafte Missbildungen bei Neugeborenen auf, die mit unvollständigen Gliedmaßen zur Welt kommen. Der Anwalt Karl-Hermann Schulte-Hillen, selbst Vater eines geschädigten Kindes, will die Ursache herausfinden und findet einen Verbündeten in dem Münsteraner Humangenetiker Widukind Lenz. Der untersucht alle Fälle, die ihm bekannt werden, und stößt auf eine Gemeinsamkeit: Die Mütter haben während der Schwangerschaft Contergan eingenommen. Viele nur eine einzige Tablette. Wie später nachgewiesen wird, reicht diese Dosis aus, um Missbildungen hervorzurufen.

4.000 Kinder mit Missbildungen

Im November 1961 informiert Lenz die Firma Grünenthal von seinem Verdacht. Diese lehnt es jedoch ab, Contergan vom Markt zu nehmen, auch als sich das nordrhein-westfälische Innenministerium einschaltet. Erst als eine große Tageszeitung von Lenz' Untersuchung berichtet, zieht Grünenthal das Mittel zurück. Inzwischen sind allein in Deutschland über 4.000 Kinder mit Missbildungen geboren. 2.800 von ihnen überleben. 1970 wird ein Prozess gegen die Verantwortlichen bei Grünenthal nach 283 Verhandlungstagen eingestellt.

Am 10. April 1970 verpflichtet sich die Firma, 100 Millionen D-Mark in eine Stiftung für die Betroffenen zu zahlen; die Bundesregierung steuert noch einmal so viel bei.

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