4. Mai 1961 - Bundestag verabschiedet Bundessozialhilfegesetz

Stand: 04.05.2016, 00:00 Uhr

Unterstützung für Bedürftige hat eine lange Tradition in Deutschland. Zu Bismarcks Zeiten helfen öffentliche Einrichtungen auch, damit die Armen nicht die Ordnung gefährden, nicht betteln oder stehlen, keine Seuchen verbreiten. Diese Armenfürsorge übernimmt zu Beginn die Bundesrepublik. "Das war mehr ein Verteilen von Almosen", sagt Christoph Butterwegge, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Köln. Denn der Arme selbst ist nicht berechtigt, diese Hilfen auch einzufordern.

Bis sich das Bundesverwaltungsgericht 1954 das Grundgesetz genauer ansieht und festlegt, dass jeder einen Rechtsanspruch auf soziale Fürsorge durch den Staat hat. Der althergebrachte Fürsorger-, Almosen- und Suppenküchen-Staat soll nun zum modernen Sozialstaat werden - mit entsprechenden Gesetzen. Die Vorarbeiten für das Bundessozialhilfegesetz, kurz BSHG, beginnen bereits im Spätherbst 1955 im Bundesinnenministerium.

Sozialstaat in Konkurrenz zur DDR

Dabei geht es der Regierung Adenauers nicht nur um die Menschenwürde von Bedürftigen. Sie hofft, im konjunkturellen Wirtschaftsaufschwung durch eine großzügige Sozialpolitik bei der Bevölkerung zu punkten. Denn die anvisierte Wiederbewaffnung ist bei vielen unbeliebt. Außerdem steht das System Sozialstaat in Konkurrenz zur DDR. "Man wollte sich nicht vom DDR-Fernsehen vorwerfen lassen, man habe zu viele elende Rentner und Arme auf den Straßen", erklärt Helga Spindler, Professorin für Arbeits- und Sozialrecht.

Es dauerte noch bis zum Mai 1961, bis der damalige Innenminister Gerhard Schröder (CDU) im Bundestag erklärt: "Ich habe heute die Ehre – ihnen meine Damen und Herren – diesen Entwurf eines Bundessozialhilfegesetzes zu unterbreiten." Nach langen und hitzigen Debatten stimmt die Mehrheit der Abgeordneten schließlich am 4. Mai 1961 im Bundestag dem Entwurf zu. "Damit waren soziale Bürgerrechte geschaffen", erklärt Spindler. Bedürftige müssen sich nun nicht mehr schämen, sondern können darauf vertrauen, dass ihnen diese Hilfe zusteht. "Das war der große Fortschritt des Bundessozialhilfegesetzes", so Spindler.

Durch Unterstützung Notfälle vermeiden

Das neue Gesetz legt den Schwerpunkt auf "die Hilfe in besonderen Lagen". Durch rechtzeitige Unterstützung soll in Notfällen verhindert werden, dass jemand in seinem Lebensstandard absinkt. "Wenn der Wintermantel dem Kind nicht mehr passte, dann konnte man zum Sozialamt gehen und eine besondere Hilfe beantragen", erklärt Butterwegge. In der Folge entwickelt sich die Sozialhilfe zur echten Lebenshilfe und bereitet doch Probleme: Bei der Verabschiedung ist man davon ausgegangen, dass die zuständigen Träger nur wenig Bedürftige versorgen müssen.

Die Entwicklung läuft genau gegenteilig. Steigende Arbeitslosigkeit, Zuwanderung, Spätaussiedler und die Wiedervereinigung lassen die Zahl der Empfänger stetig steigen und belasten die öffentlichen Kassen. Um die Situation aufzufangen, bringt Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) die "Hartz"-Reformen auf den Weg. Das Bundessozialhilfegesetz wird am 1. Januar 2005 durch das Sozialgesetzbuch Zwölf abgelöst - mit großen Einbußen für viele Betroffene. Fördern, aber besonders auch fordern, heißt jetzt die Devise.

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