Netzwerkkabel stecken in einem Verteiler für Internetverbindungen.

9. November 2007 - Bundestag beschließt Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung

Stand: 09.11.2017, 00:00 Uhr

Mit den Bombenanschlägen von Madrid 2004 und London 2005 erreicht der islamistische Terror Europa. Bereits nach den Anschlägen gegen die USA 2001 hatte der Ministerrat die EU-Kommission aufgefordert, Vorschläge zu machen, wie mit einer Überwachung der Telekommunikation Straftaten besser aufgeklärt werden können.

Das Ergebnis: 2006 erlässt die EU eine Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung. Dabei handelt es sich um eine anlasslose, flächendeckende Speicherung von Telefon- und Internetverbindungsdaten über einen längeren Zeitraum. Gerät jemand unter Verdacht, ein Verbrechen begangen zu haben, können Behörden auf die gespeicherten Daten zugreifen und diese auswerten.

Gesetz über Vorratsdatenspeicherung beschlossen (am 09.11.2007)

WDR 2 Stichtag 09.11.2017 04:17 Min. Verfügbar bis 07.11.2027 WDR 2


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Sechs Monate lang alle Daten speichern

Die EU-Richtlinie muss auch von Deutschland umgesetzt werden. Am 9. November 2007 ist es soweit. Nach einer hitzigen Debatte verabschiedet der Bundestag mit den Stimmen der Großen Koalition das Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung, in dem unter anderem die Vorratsdatenspeicherung geregelt ist.

"Vom kommenden Jahr an wird sechs Monate lange gespeichert, wer wann mit wem telefoniert hat. Auch die Daten von Internetverbindungen sollen festgehalten werden", erläutert anschließend "Tagesschau"-Sprecher Thorsten Schröder dem Fernsehpublikum.

Das Gesetz erlaubt den Zugriff auf die gespeicherten Daten nicht nur bei Terrorismus, sondern auch bei weit weniger schweren Verbrechen - zum Beispiel bei Urheberrechtsverletzungen. Die Oppositionsparteien Grüne, FDP und Linke sowie Bürgerrechtsorganisationen protestieren.

Verfassungsbeschwerden haben Erfolg

Knapp 35.000 Verfassungsbeschwerden werden gegen das Gesetz eingereicht. Auch das Bundesverfassungsgericht sieht die neue Regelung kritisch: Es erlässt wenige Monate nach dem Inkrafttreten des Gesetzes 2008 eine einstweilige Anordnung, die das Gesetz einschränkt. Im März 2010 verkünden die Karlsruher Richter ihre endgültige Entscheidung: Das Gesetz ist nichtig. Alle gespeicherten Vorratsdaten müssen unverzüglich gelöscht werden.

Verfassungsgerichtspräsident Hans-Jürgen Papier sagt in der Urteilsverkündung: "Die Regelungen des Telekommunikationsgesetzes und der Strafprozessordnung über die sogenannte Vorratsdatenspeicherung verletzen das Grundrecht auf Schutz des Telekommunikationsgeheimnisses." Grundsätzlich lehnt das Gericht die Vorratsdatenspeicherung jedoch nicht ab.

Erneuter Gesetzesvorstoß

Im April 2014 urteilt der Europäische Gerichtshof: Die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung, die allen nationalen Gesetzen zugrunde liegt, ist unwirksam. Die europäischen Staaten sind nun nicht mehr verpflichtet, die Vorratsdatenspeicherung einzuführen. Doch in Deutschland setzen sich erneut die Befürworter einer solchen Regelung durch.

Mit den Stimmen der Großen Koalition verabschiedet der Bundestag im Oktober 2015 ein neues Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung. Dieses Mal ist die Speicherfrist auf zehn Wochen verkürzt worden. Wieder ziehen Kritiker vor das Bundesverfassungsgericht. Eine Entscheidung steht noch aus. Wegen der unklaren Rechtslage wird das Gesetz derzeit nicht angewendet.

Warnung vor Gruppenbildung

"Ich halte die Vorratsdatenspeicherung für ein ganz heikles Instrument, weil es die Rechtfertigungslage verschiebt", sagt Indra Spiecker, Professorin für Informationsrecht an der Universität Frankfurt am Main. Nicht mehr der Staat müsse belegen, dass ein Bürger möglicherweise straffällig geworden sei. Sondern der Bürger müsse nachweisen, dass er nichts getan habe.

Das sei aufgrund moderner polizeilicher Ermittlungsmethoden kein unrealistisches Szenario, sagt Spiecker. Beim sogenannten Predictive Policing werden demnach Gruppen gebildet. Wer dieser Gruppe angehöre, sei per se verdächtig. Das halte sie für problematisch. "Ich möchte gern in einem Staat leben", so Spiecker, "in dem wir auch Raum lassen dafür, anders sein zu können, ohne dass das gleich auffällig ist, weil man damit aus der typischen Gruppenbildung des ungefährlichen Durchschnittbürgers heraus rutscht."

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"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 9. November 2017 ebenfalls an das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung. Auch das "ZeitZeichen" gibt es als Podcast.

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