Ewald Bucher, Erich Mende, Bundespräsident Heinrich Lübke, Minister Walter Scheel und Rolf Dahlgrün, davor der persönliche Referent des Bundespräsidenten mit den Entlassungsurkunden der vier FDP-Minister am 28.10.1966

27. Oktober 1966 - Regierungskoalition aus Union und FDP zerbricht

Stand: 27.10.2016, 00:00 Uhr

14 Jahre lang kennt die junge Bundesrepublik Deutschland nur einen Kanzler: Konrad Adenauer. Der Christdemokrat kommt 1949 mit 73 Jahren ins Amt und ist für die Union ein Glücksfall. 1957 holt er für CDU und CSU sogar die absolute Mehrheit im Bundestag. Adenauer verspielt allerdings sein Ansehen, als er sich Ende der 1950er Jahre - obwohl hochbetagt - weigert, abzutreten. 1961 fällt die Union wieder unter 50 Prozent und muss im Drei-Parteien-Bundestag mit der FDP koalieren. Ein Bündnis mit der SPD ist zu diesem Zeitpunkt noch undenkbar. Zu verschieden erscheinen die Positionen der beiden großen Parteien.

Gegen den Protest der Liberalen schafft es Adenauer erneut, sich zum Kanzler wählen zu lassen. Er verspricht aber, in der laufenden Wahlperiode zurückzutreten. 1963 ist es soweit: Ludwig Erhard (CDU), Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister, wird Adenauers Nachfolger. Erhard holt bei der Wahl zwei Jahre später für die Union ein Traumergebnis: Mit 47,6 Prozent verfehlt er die absolute Mehrheit nur knapp. Wieder bildet sich eine schwarz-gelbe Regierung. Doch die Vorzeichen stehen schlecht. Der Wirtschaftsprofessor mit der Zigarre tut sich schwer, die Finanzen unter Kontrolle zu bringen. Die Haushaltslöcher werden immer größer, während sich die Konjunktur eintrübt.

FDP-Minister kippen Schwarz-Gelb

Helmut Schmidt, der stellvertretende SPD-Fraktionschef, warnt: "Wir haben eine Bergbaukrise, die bis heute nicht bewältigt ist. Ihre Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft und auf die innenpolitische Lage in bestimmten Teilen unseres Landes werden von Monat zu Monat bedenklicher." Die Krise nützt der SPD. Im Juli 1966 gewinnt sie mit fast 50 Prozent der Stimmen die Wahlen in Nordrhein-Westfalen und löst dort die CDU ab. Kanzler Erhard ist angezählt, und die FDP wird nervös. Die Liberalen wollen weder an der Fünf-Prozent-Marke scheitern, noch mit der CDU aus der Regierung fliegen.

Als Sollbruchstelle bietet sich den Liberalen der Streit um den Haushalt an. Für 1967 fehlen mehrere Milliarden Mark. Erhard denkt an Steuererhöhungen, die FDP hingegen lehnt sie ab. Zehn Stunden lang streitet sich am 26. Oktober 1966 das Bundeskabinett. Am Ende steht ein einstimmiger Beschluss: Als letzter Ausweg sollen auch Steuererhöhungen möglich sein. Die Entscheidung fällt einstimmig, drei der vier FDP-Minister sitzen mit am Tisch. Doch die Resonanz ist verheerend. "FDP fiel wieder um", titelt die "Bild"-Zeitung am nächsten Tag. Entwicklungsminister Walter Scheel (FDP) kommt empört von einer Dienstreise zurück. Er hätte dem Kompromiss nie zugestimmt, sagt er. Scheel tritt zurück und zieht die anderen mit sich: Am 27. Oktober 1966 legen alle vier FDP-Minister ihr Amt nieder. Die schwarz-gelbe Koalition platzt.

Zuerst Große Koalition, dann Rot-Gelb

Erhard regiert zunächst mit einer Minderheitsregierung weiter. Am 8. November 1966 fordern ihn FDP und SPD allerdings auf, im Bundestag die Vertrauensfrage zu stellen. Doch er weigert sich: "Ich klebe nicht an meinem Sessel, und an mir wird eine regierungsfähige Mehrheit nicht scheitern. Aber ich lehne es ab, hier an einem Schauprozess teilzunehmen." Daraufhin lassen ihn auch seine Parteifreunde fallen: Zwei Tage später stimmt die Bundestagsfraktion der Union über einen Nachfolger Erhards ab. Das Rennen macht Kurt Georg Kiesinger (CDU), damals Ministerpräsident von Baden-Württemberg.

Das Ende der Regierung Erhard ist der Anfang von etwas völlig Neuem. Unter Kanzler Kiesinger bilden Union und SPD die erste große Koalition der Bundesrepublik. Beide Seiten haben große Bedenken - die SPD auch wegen der NS-Vergangenheit Kiesingers. Dennoch wird das ehemalige NSDAP-Mitglied am 1. Dezember 1966 zum Bundeskanzler gewählt. Willy Brandt (SPD), der einst vor den Nazis ins Ausland flüchtete, wird Vizekanzler und Außenminister. Dann verändert die Bundestagswahl 1969 noch einmal alles. Zwar bleibt die Union stärkste Fraktion. Doch SPD-Chef Willy Brandt bildet an ihr vorbei mit der FDP die erste rot-gelbe Bundesregierung.

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"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 27. Oktober 2016 ebenfalls an den Bruch der Regierungskoalition von Union und FDP. Auch das "ZeitZeichen" gibt es als Podcast.

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