Ein Laken mit der Aufschrift "WIr trauern mit unseren türkischen Mitbürgern" hängt aus einem Fenster

29. Mai 1993 - Fünf Türkinnen bei Brandanschlag in Solingen ermordet

Stand: 29.05.2018, 00:00 Uhr

Der erste Notruf erreicht die Feuerwehr Solingen gut eine Stunde nach Mitternacht. Als die ausgeschickten Rettungskräfte wenig später in die Untere Wernerstraße einbiegen, schlagen bereits Flammen aus dem Haus der Familie Genç. Oben steht eine verzweifelte Frau am Fenster. "Der Kollege hat noch versucht, sie zu beruhigen, damit sie nicht springt", erinnert sich ein Feuerwehrmann.

Brandanschlag von Solingen (am 29.05.1993)

WDR 2 Stichtag 29.05.2018 04:13 Min. Verfügbar bis 26.05.2028 WDR 2


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Die Frau kann nicht mehr gerettet werden, sie springt in den qualvollen Tod. Insgesamt verliert die Familie Genç am 29. Mai 1993 zwei Töchter, zwei Enkelinnen und eine Nichte, das jüngste Opfer ist gerade einmal vier Jahre, das älteste 27 Jahre alt. Weitere 14 Familienmitglieder werden zum Teil lebensgefährlich verletzt und sind bis heute körperlich schwer gezeichnet.

Aus Fremdenhass Brandanschlag verübt

Bald schon stellt sich heraus, dass das Feuer gelegt worden ist. Die Polizei kann die vier jugendlichen Täter recht schnell ermitteln, ihr Motiv: Fremdenhass. Nach über 120 Verhandlungstagen werden sie zu hohen Haftstrafen verurteilt. Die Tat sei, so das Urteil, aus niederen, rassistischen Beweggründen verübt worden.

Die fünf Türkinnen sind nicht die ersten Opfer. Die Stimmung gegen Ausländer ist schon länger aufgeheizt. "Die Situation war geprägt von Ausländerfeindlichkeit, es gab Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte, Angriffe auf Menschen, es gab ein Erstarken rechtsextremistischer Parteien und die Flüchtlingszahlen waren sehr hoch", erklärt Claus Ulrich Prölß vom Kölner Flüchtlingsrat.

Hohe Flüchtlingszahlen, rassistische Ausschreitungen

Die Balkankrise, Kriege in Afrika und ein Chaos in Osteuropa ließen 1992 allein 400.000 Menschen nach Deutschland flüchten. Die Unterkünfte sind überfüllt. In den Medien und bei Politikern macht das Wort "Asylmissbrauch" die Runde.

Es kommt zu rassistischen Ausschreitungen gegen Flüchtlinge in Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen, in Mölln sterben im Herbst 1992 drei Türken bei einem Brandanschlag. Die Politik sucht nach Lösungen und verschärft das Asylrecht.

Drei Tage nachdem der Bundestag 1993 der Asylverschärfung zugestimmt hat, werden die Solinger-Morde an der Familie Genç verübt. Sie waren nicht als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen, sondern als Einwanderer. Zwei Kinder und die Enkel sind hier geboren.

Worte der Versöhnung trotz Trauer

Die Mutter und Großmutter der Getöteten, Mevlüde Genç, kämpft trotz ihrer Trauer seit 25 Jahren beharrlich um Versöhnung und Verständigung. "Ich werbe immer noch für die Freundschaft und Brüderlichkeit beider Völker. Ich hege keine Rachegefühle, ich bin für Frieden", erklärt sie immer wieder und wird dafür unter anderem mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt.

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