DDR-Reporter Heinz Florian Oertel, Marathonläufer Waldemar Cierpinski

Stichtag

1. August 1980 - DDR-Sportreporter Oertel fordert zu "Waldemar"-Taufe auf

DDR-Sportreporter Heinz Florian Oertel ist für seine lockeren Sprüche berühmt. Auch im Westen unvergessen sein begeisterter Kommentar beim Marathon-Olympiasieg von Waldemar Cierpinski 1980 in Moskau: "Junge Väter, haben Sie Mut ... Nennen Sie ihre Neuankömmlinge Waldemar!"

"Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen … Rahn schießt … Tor! Tor! Tor!" Die WM-Helden von 1954 schreiben Sporthistorie und mit ihnen der Reporter Herbert Zimmermann dank seines mitreißenden Kommentars zum "Wunder von Bern".

Heinz Maegerlein, noch ein Pionier der Sportreportage, erringt bleibenden Nachruhm eher durch große (ungewollte) Sprachkomik, bei Skirennen wie im Schwimmstadion: "Zu Tausenden standen sie an den Hängen und Pisten" und "Nun wickeln die Damen ihre 100 Meter Brust ab" gehören zum unvergesslichen Repertoire des Altmeisters.

Unvorbereitet auf den großen Moment

Auch Heinz Florian Oertel ist nicht auf den Mund gefallen. Jahrzehntelang glänzt der beliebteste Sportreporter des DDR-Fernsehens mit ebenso sachkundigen wie schillernden Kommentaren. Nebenher schauspielert der Tausendsassa, moderiert, singt und erfindet Shows wie "Ein Kessel Buntes". Im Gedächtnis haften geblieben aber ist ein ganz besonderer Moment in Oertels langer Mikrofonkarriere. Ein flapsiger Satz, gesprochen am 1. August 1980 über den Marathon-Olympiasieg von Waldemar Cierpinski. Diesen "Waldemar"-Jubel wird Oertel seither nicht mehr los.

Die Olympischen Spiele in Moskau werden vom Westen wegen des sowjetischen Einmarsches in Afghanistan boykottiert. Waldemar Cierpinskis Ziel aber ist dadurch nicht näher gerückt. Der Marathonläufer aus Halle an der Saale hat schon bei Olympia 1976 in Montreal sensationell Gold gewonnen, doch zwei Olympiasiege in Folge sind zuvor nur dem Äthiopier Abebe Bikila gelungen. Selbst Reporter Heinz Florian Oertel rechnet nicht mit einem weiteren Erfolg des Hallensers. "So saß ich ziemlich unbedarft auf meinem Platz im Stadion, kommentierte wieder einmal alles, was geschah und harrte der Besonderheiten", schreibt er in seinen Memoiren. Oertel ist gerade vollauf damit beschäftigt, den Hochsprungsieg des Mecklenburgers Gerd Wessig zu feiern, als sich Cierpinski in Führung liegend dem Olympiastadion nähert.

Sogar der Tenno kennt Waldemar

In Oertels Kopf beginnt es mächtig zu brodeln. Sollte sein Landsmann wirklich seinen Triumph wiederholen, muss ihm etwas einfallen, das "sich abhebt von lapidaren Sätzen, von hundertmal Gesagtem, Abgedroschenem." Dem alten Hasen am Mikro ist klar: "Trägt der Zufall dem Reporter solches Glück zu, muss er mit beiden Händen zupacken. Sonst ist er keiner." Als Oertel zum Luftholen kurz den Kopfhörer abnimmt, kommt ihm ein Uralt-Schlager in den Sinn: "… und er heißt Waldemar, weil es im Wald geschah." Nach zwei Stunden, elf Minuten und einer Sekunde sichert sich Waldemar Cierpinski aus der DDR tatsächlich seine zweite Marathon-Goldmedaille.

Und Heinz Florian Oertel krönt den sporthistorischen Erfolg mit den Worten: "Liebe Zuschauer zuhause, das ist ein einmaliger Triumph. Liebe junge Väter oder angehende, haben Sie Mut, nennen Sie Ihre Neuankömmlinge des heutigen Tages ruhig Waldemar. Waldemar ist da!" Oertels origineller Kommentar löst zwar keinen Tauf-Boom auf den schon etwas altmodischen Vornamen aus, aber er macht Waldemar Cierpinski rund um den Globus bekannt. 14 Jahre nach seinem Triumph wird der Läufer anlässlich eines Marathons in Osaka zu einem großen Empfang im Kaiserhaus eingeladen. Bei Cierpinskis Vorstellung erklärt der Tenno seiner Frau: "Das ist der Mann, nach dem in Deutschland die Söhne benannt werden."

Stand: 01.08.2015

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