Clärenore Stinnes mit beschutztem Hemd hält ein  Tau vor Auto

Stichtag

7. September 1990 - Clärenore Stinnes stirbt in Schweden

Sie ist klein und niedlich, trägt Hosen, raucht permanent und lacht viel: So wird Clärenore Stinnes 1927 in einer Berliner Zeitung beschrieben. Da ist die 26-Jährige schon die erfolgreichste Rennfahrerin Europas, die zudem gerade eine verrückte Idee ausheckt: Sie will in einem Auto die Welt umrunden - das hat vor ihr noch keiner gewagt.

Nicht nur die reine Abenteuerlust treibt Stinnes an. "Sie wollte damals zeigen, wozu deutsche Industrie fähig ist", sagt heute der Siegerländer Filmemacher Alexander Fischbach, der gerade eine neue Ausstellung über die Weltreise vorbereitet. Auf der deutschen Wirtschaft lasten damals der Versailler Vertrag und die Restriktionen. Die Unternehmertochter ist auf Geldgeber für ihr Abenteuer angewiesen. Dank der engen Kontakte zu den großen Konzernlenkern treibt sie ohne Mühe die 100.000 Reichsmark für die Reise von Firmen wie Bosch, Aral, Varta, Continental ein. Nur die Familie will für die tollkühnen Pläne keinen Pfennig hergeben.

Erfolgreiche Rennfahrerin

Clärenore wird 1901 als drittes von sieben Kindern im Hause Stinnes geboren. Ihr Vater Hugo Stinnes verfügt über ein breites Geflecht von Industrieunternehmen. Er schickt die Tochter früh nach Südamerika, damit sie sich dort um die Geschäfte kümmern kann. Doch als der Ruhrbaron 1924 plötzlich stirbt, überträgt die Mutter die Geschäftsführung den älteren Brüdern. Clärenore geht enttäuscht nach Berlin und gibt Gas. Sie fährt als eine der ersten Frauen Autorennen - mit großem Erfolg. Die Rallyes führen sie bis nach Russland. Warum also nicht noch weiter nach Osten fahren, bis man von Westen her wieder den Startpunkt erreicht?

Im Mai 1927 geht es schließlich mit einem Wagen der Marke Adler, einem kleinen Lkw, zwei Mechanikern, Werkzeug und Gepäck los. Das Team begleitet ein Kameramann, der die Reise dokumentieren soll. Das Fräulein hat den Schweden Carl-Axel Söderström ausgewählt, weil er verheiratet ist und sie Abstand zu den drei Männern wünscht. Södermann dagegen klagt später: "Ich habe mehr die Autos schieben müssen, als ich mit der Kamera gedreht habe." Trotzdem ist der Schwede der Einzige, der bis zum Ende der Reise bei der hartnäckigen Frau bleibt. Die Mechaniker geben schon in Russland auf, die Strapazen sind zu groß: kaum Straßen; stattdessen müssen die beiden Fahrzeuge durch Wüsten und Schlammpisten, brennende Hitze und klirrende Kälte gebracht werden.

Über Eis und Berge

Im November 1927 steckt das Team im russischen Winter fest. "Dann war der Wunsch aller, dass wir in Sibirien aufgeben sollten. Aber das gab's nicht bei mir", sagt Stinnes später. Stattdessen überqueren sie den zugefrorenen Baikalsee, was sich vor ihnen noch keiner getraut hat. Nach drei schweißtreibenden Stunden sind sie am anderen Ufer, Clärenore bietet ihrem Kameramann Carl-Axel Söderström das Du an. Über China geht es weiter nach Südamerika. In den Anden müssen sie erst den Weg freisprengen. Dann schleppen Indios unter dem Befehl eines Hauptmannes der Armee das Auto die Berge hoch. Schließlich verdursten Clärenore und Carl-Axel fast, nachdem sie bereits das Kühlwasser ausgetrunken haben.

Aber mit Disziplin, Durchhaltekraft, Organisationstalent und vielen Helfern schaffen Clärenore Stinnes und Carl-Axel Söderström das Unmögliche. In den USA werden sie bereits von allen Seiten bejubelt, US-Präsident John Edgar Hoover empfängt sie im Weißen Haus. Am 24. Juni 1929, zwei Jahre und einem Monat nach ihrem Start, fährt das verrückte Fräulein und ihr Kameramann nach 46.758 Kilometern in Berlin ein - als Partner oder Paar? Das weiß keiner so genau.

Im Frühjahr 1930 lässt sich jedenfalls Söderström von seiner Frau scheiden, im Dezember heiratet er Clärenore. Vom Reisen und Filmen hat das Paar erst einmal genug. Gemeinsam bewirten sie einen Gutshof in Schweden, ziehen dort drei eigene und mehrere Pflegekinder groß. Ihre Weltreise gerät in Vergessenheit. Eine beeindruckende Persönlichkeit ist Clärenore Stinnes auch als Landwirtin geblieben. "Tante Clärenore war eine sehr starke Frau. Sie konnte auch einen Trecker auseinandernehmen und wieder zusammensetzen. Das war kein Problem", erinnert sich ihr Neffe Hugo Stinnes. Am 7. September 1990 stirbt Clärenore Stinnes in Schweden.

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Auf WDR 2 können Sie den Stichtag immer gegen 9.40 Uhr hören. Wiederholung: von Montag bis Samstag um 18.40 Uhr. Der Stichtag ist nach der Ausstrahlung als Podcast abrufbar.

"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.05 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 7. September 2015 ebenfalls an den Tod von Clärenore Stinnes. Auch das "ZeitZeichen" gibt es als Podcast.