Pressemappe des Bundesnachrichtendienstes auf einem Stuhl (Aufnahme von 2011)

Stichtag

11. Juli 1955 - Startschuss für den BND

Im Zweiten Weltkrieg ist er für die deutsche Spionage gegen die Rote Armee zuständig: Reinhard Gehlen, Generalmajor der Wehrmacht, leitet von 1942 bis 1945 im Oberkommando des Heeres die Abeilung "Fremde Heere Ost". Als die deutsche Niederlage absehbar ist, bereitet das NSDAP-Mitglied Gehlen seine Nachkriegskarriere vor. Es gelingt ihm, die Akten seiner Abteilung in den bayerischen Bergen zu vergraben. Er selbst versteckt sich auf einer Alm. Als Gehlen dort von der US-Armee festgenommen wird, übergibt er ihnen sein Material über die sowjetischen Streitkräfte.

Die Amerikaner sind an Gehlens Kenntnissen überaus interessiert. Die Anfänge des Kalten Krieges zeichnen sich ab. Darum wird der Kriegsgefangene Gehlen zunächst zum Verhör in das Vernehmungszentrum Fort Hunt im US-Bundesstaat Virginia gebracht, bevor er wieder nach Deutschland geschickt wird - als Angestellter des US-Militärnachrichtendienstes. Mit Geld aus den USA baut er die "Organisation Gehlen" auf, die er mit ehemaligen Wehrmachtssoldaten, SS-Leuten und mutmaßlichen Kriegsverbrechern besetzt. Der amerikanische Geheimdienst mit deutschen Mitarbeitern spioniert zunächst von Oberursel im Taunus aus. Am 6. Dezember 1947 zieht Gehlen mit seiner Organisation nach Pullach bei München um: Aus der ehemaligen Reichssiedlung "Rudolf Hess" wird "Camp Nikolaus".

Gehlen als Mann ohne Gesicht

Parallel zur Arbeit für die Amerikaner baut Gehlen Kontakt zum ersten Bundeskanzler, Konrad Adenauer (CDU), auf. Er will mit seinem Apparat in dessen Dienst treten. Am 11. Juli 1955 ist Gehlen am Ziel: Das Kabinett beschließt, eine Dienststelle "Bundesnachrichtendienst" (BND) einzurichten. Offiziell gegründet wird der BND ein Jahr später. Zum ersten Präsidenten wird Gehlen bestimmt. Er ist ab dieser Zeit der Mann ohne Gesicht. Fotos von ihm gibt es nur mit dunkler Sonnenbrille.

Gehlens Auslandsgeheimdienst hält sich allerdings nicht an seinen gesetzlichen Auftrag und ist auch im Inland tätig. In einem seiner seltenen Rundfunkinterviews erklärt Gehlen 1975, Jahre nach seiner Pensionierung, seine Sicht der Dinge: "Ich unterscheide zwischen Inlandsaufklärung und innenpolitischer Aufklärung." Innenpolitische Aufklärung gegen Parteien habe nicht stattgefunden. "Es wurden aber Persönlichkeitsakten angelegt von solchen Persönlichkeiten, mit denen ich zu tun hatte und über die ich unterrichtet sein musste." Gehlens Interesse sei dabei "von einem ganz starken Antikommunismus" geprägt gewesen, sagt Historiker Jost Dülffer von der Universität Köln. Der Geheimdienstchef habe schon Feinde "links vom rechten Flügel der CDU" gewittert.

Vetternwirtschaft, Überläufer, Agonie

Bei Adenauer fällt Gehlen zunehmend in Ungnade. Zum einen spielen dabei die alten Nazis im BND eine Rolle, zum anderen die Vetternwirtschaft. Allein Gehlen hat 16 Verwandte in den Dienst eingeschleust. Zudem gibt es Gerüchte, dass in Pullach aus Zeitungen abgeschrieben werde. Dazu kommen Skandale und Affären: 1961 wird der BND-Mitarbeiter und Altnazi Heinz Felfe als KGB-Spion enttarnt, 1962 bespitzelt der BND illegal das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel".

Die "Spiegel"-Affäre habe dazu geführt, "dass Adenauer Gehlen beinahe hätte verhaften lassen", sagt Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom. "Von da an hat Gehlen die Führung des Dienstes total schleifen lassen." Er sei lieber segeln gegangen. "Der BND leidet unter dem alten Gehlen zunehmend an Selbstabschottung und Selbstbehinderung", sagt Professor Dülffer, Mitglied der unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Frühgeschichte des BND von 1945 bis 1968. "Man kann geradezu von einer Agonie der letzten Jahre Gehlens sprechen." Geheimdienstexperte Schmidt-Eenboom ergänzt: "Als Gerhard Wessel den Laden zum 1. Mai 1968 übernommen hat, war der Bundesnachrichtendienst in einem total desaströsen Zustand, in jeder Beziehung."

Stand: 11.07.2015

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