Giuliana Sgrena, italienische Journalistin (Aufnahme von 2006)

Stichtag

4. Februar 2005 - Giuliana Sgrena wird im Irak entführt

Bagdad, 4. Februar 2005, um die Mittagszeit: Die italienische Journalistin Giuliana Sgrena ist auf dem Rückweg von einem Gesprächstermin. Sie hat auf dem Universitätsgelände der irakischen Hauptstadt mit Flüchtlingen gesprochen, die vor Angriffen des US-Militärs auf die Rebellenhochburg Falludscha geflohen waren. Plötzlich versperren Autos den Weg, Schüsse fallen. Sgrena wird aus dem Wagen gezerrt und in ein anderes Fahrzeug verfrachtet. Kurz darauf wird sie in einem kleinen, dunklen Zimmer eingesperrt - ohne Fenster, Strom und Heizung. "Alles hatten sie mir weggenommen", sagt sie später. "Ich hatte nichts mehr, weder ein Stück Papier noch meine Uhr. Ich konnte nur nachdenken." Sie habe Angst gehabt, ihr Gedächtnis zu verlieren.

Im Internet bekennt sich eine Gruppe mit dem Namen "Islamischer Dschihad" zu der Entführung der Journalistin, die für die italienische Tageszeitung "Il Manifesto" und die Hamburger "Zeit" schreibt. Die Geiselnehmer fordern im Austausch für sie den Abzug der italienischen Truppen innerhalb von 72 Stunden.

Breite Unterstützung in Italien und Deutschland

Gleichzeitig erhält Sgrena breite öffentliche Unterstützung: "Il Manifesto" und die "Zeit" rufen im Internet zu ihrer Rettung auf. In Deutschland setzen sich die drei einflussreichsten muslimischen Organisationen für sie ein, in Rom gehen Tausende auf die Straße und italienische Fußballer erscheinen mit Trikots im Stadion, auf denen "Liberate Giuliana" ("Befreit Giuliana") steht. Zudem strahlt der arabische Fernsehsender Al Dschasira einen Beitrag über Sgrenas Arbeit aus. Die erklärte Pazifistin hatte aus den Krisenregionen Algerien, Somalia und Afghanistan berichtet - gegen den Krieg, über das Schicksal der Betroffenen.

Im Verborgenen verhandelt derweil der italienische Geheimdienst über Sgrenas Freilassung. Genau einen Monat nach der Entführung kommt es zum Durchbruch. "Zwei der Bewacher kamen", erinnert sich die Journalistin. "Für gewöhnlich trugen sie Jogginganzüge, aber diesmal kamen sie im Anzug." Einer habe ihr die Hand geschüttelt und ihr zur bevorstehenden Heimfahrt gratuliert. "Sie haben mir die Sonnenbrille aufgesetzt und Watte hinter die Gläser gestopft, dass ich nichts sehe." Danach bringen sie die Entführer in einen entlegenen Teil Bagdads. Dort muss sie allein in einem Auto warten, das nach Angaben der Entführer voller Sprengstoff ist. "In dieser Lage eine halbe Stunde auszuharren, während man in der Luft ein amerikanisches Flugzeug kreisen hört, ist purer Terror", sagt sie 2006 in einem Interview mit der "Taz".

Verbündete US-Soldaten eröffnen das Feuer

Schließlich taucht Nicola Calipari, die Nummer zwei des italienischen Geheimdienstes, am Übergabeort auf. Er bringt sie in sein Auto und setzt sich neben sie auf den Rücksitz. "Irgendwann drehte sich der Fahrer um und sagte: 'Noch 900 Meter bis zum Flughafen'", so Sgrena. "Und im selben Moment eröffneten sie das Feuer." Die Schützen sind Verbündete: Soldaten einer amerikanischen Patrouille. An der Seite der USA und Großbritanniens ist Italien 2003 in den Irak einmarschiert.

"Nicola Calipari hat mich sofort zwischen den Vorder- und Rücksitz gedrückt. Dann hat er sich über mich geworfen", erzählt Sgrena später. Sie überlebt verletzt, ihr Beschützer hingegen wird getötet. Bis heute ist nicht abschließend geklärt, weshalb die US-Soldaten geschossen haben. Nach Angaben der USA sei der mit hoher Geschwindigkeit fahrenden Wagens erfolglos zum Halten aufgefordert worden. Italienische Ermittler widersprechen jedoch dieser These. Denn Sgrena und der ebenfalls überlebende Fahrer sprechen von einer langsamen Fahrt, bei Regen und Dunkelheit. Zudem sei das US-Kommando über Caliparis Mission informiert gewesen.

"Das Nachspiel war das größte Trauma"

Die Ereignisse wirken sich noch immer auf Sgrenas Leben aus: "Wenn du über einen langen Zeitraum mit dem Tod gerechnet hast, erscheint dir jeder neue Tag wie ein Tag, den du erobert hast." Ein noch größerer Schock als die Geiselnahme selbst sei allerdings der Ausgang der Entführung gewesen: "In der Tat war das Nachspiel das größte Trauma für mich." Heute lebe sie intensiver. "Gleichzeitig habe ich aufgehört, Pläne für die Zukunft zu machen - und das hat mir meinen Enthusiasmus geraubt."

Stand: 04.02.2015

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