
Sportvereine nach der Flutkatastrophe: "Wir gehen immer noch auf dem Zahnfleisch"
Stand: 14.07.2022, 09:27 Uhr
Der Breitensport ist in den Gebieten der Flutkatastrophe nahezu zum Erliegen gekommen. Auch ein Jahr nach den Ereignissen gibt es kaum Fortschritte. Klaus Jansen vom Gemeindesportverband Swisttal nennt im Interview stellvertretend die Probleme, mit denen sich viele Kommunen und deren Vereine konfrontiert sehen.
WDR.de: Herr Jansen, jetzt, ein Jahr nach der verheerenden Flutkatastrophe: Wie stellt sich die Lage für die Vereine in Swisttal dar?
Klaus Jansen: Nach wie vor gehen wir auf dem Zahnfleisch. Die Vereine hier versuchen Sportangebote zu machen, indem sie die Aktivitäten auslagern. Hier vor Ort fehlt aber immer noch alles. Mir ist besonders wichtig zu sagen: Sport ist ja nicht nur ein Vereinsangebot, sondern ein soziales Angebot für das Dorf, für die Gemeinschaft. Wir haben ein Einzugsgebiet von rund 6000 Menschen. Es gibt hier keine Angebote, bis auf das, was wir als Gemeindesportverband bei uns im Dorfsaal organisiert haben. Wir haben den Saal zu einer Übergangssporthalle umgebaut, wo vereinzelt etwas stattfindet. Aber natürlich keine Ballspiele.
Sie hatten vor einem halben Jahr befürchtet, dass der Zusammenhalt in den Dörfern, in denen die Flut gewütet hat, deutlich schwinden könnte, weil die heimischen Sportstätten nicht genutzt werden können und die Leute auf andere Sportplätze ausweichen müssen. Sehen Sie Ihre Befürchtungen bestätigt?
Jansen: Es gibt einen Webfehler in den Förderrichtlinien zum Wiederaufbau. Wir werden hier spätestens in sieben Jahren perfekt aufgestellt sein, wenn der neue Sportcampus fertiggestellt sein wird. Aber die Politik hat die Zeit dazwischen vergessen. Das kann passieren, das mache ich niemanden zum Vorwurf. Nach zwei Jahren Corona auch noch die Flut, das ist fatal. Wir verpassen ganze Jahrgänge. Und da hilft es auch nicht, wenn andere Städte uns übergangsweise helfen, was natürlich hervorragend ist. Aber: Hier fehlen die sozialen Treffpunkte.
In vielen Flutgebieten wird geklagt, dass es schwierig ist, an die vom Bund und Land zur Verfügung gestellten Finanzmittel zu kommen. Viel Bürokratie, lange Bearbeitungszeiten. Trifft dieses Problem auch auf die Sportvereine zu?

Klaus Jansen, Vorstand beim Gemeindesportverband Swisttal
Jansen: Unsere Vereine kommen nicht an Geld, weil sie alle auf kommunalem Grund stehen. Man hätte den Webfehler für die Übergangszeit heilen können, indem man bei der Ministerpräsidentenkonferenz dies beschlossen hätte. Denn es sind ja insgesamt vier Bundesländer betroffen. Das ist aber nicht geschehen, obwohl ich unseren Ministerpräsidenten angeschrieben und deutlich darauf hingewiesen habe. Wir hängen am Tropf privater oder institutioneller Spender, die wir Gott sei Dank haben. Wir haben zum Beispiel von der Stadt Kamenz in Ostdeutschland 9000 Euro Hilfe bekommen, was wirklich keine Selbstverständlichkeit ist. Aber wieso hilft uns eine Stadt? Und unser eigenes Bundesland nicht? Das finde ich skandalös.
Wie lange werden die Vereine brauchen, um den Status Quo von vor der Flut zu erreichen?
Jansen: Ich hoffe darauf, dass wir unseren Fußballplatz bis zum Herbst wieder hinbekommen. Natürlich ohne Vereinsheim, das steht da noch verseucht daneben. Ich hoffe, dass sich die Vereine in ihrem Mitgliederbestand stabilisieren. Ohne Spenden, die wir hoffentlich auch noch weiterhin bekommen, hätte der Sport hier in Swisttal-Odendorf überhaupt keine Perspektive. Eine Bestandsaufnahme machen wir zum Ende des Jahres, dann kann man genaueres sagen.
Gibt es bereits Vereine, die aufgegeben haben?
Jansen: Bisher nicht. Aber das wird man wohl erst in einem Jahr sehen kann. Wenn es nicht zeitnah Perspektiven gibt, befürchte ich einen schleichenden Prozess. Mein Respekt gilt allen ehrenamtlichen Vorständen, die sich dagegen stemmen und versuchen, den Kopf der Vereine über Wasser zu halten.
Wie steht es ein Jahr nach der Flutkatastrophe um die Hilfsbereitschaft für die betroffenen Regionen?
Jansen: Wenn ich sehe mit welcher Muskelkraft die Menschen angepackt haben, als es eine erste Räumungsaktion des Fußballplatzes gab, dann ist das grandios. Wir haben hier nach wie vor einen tollen Zusammenhalt unter den Sportlern und den Vereinen. Wir haben uns hier zusammengesetzt und Lösungen gefunden. Das macht einfach Spaß.
Inwieweit hat diese Katastrophe das Sportgeschehen in Ihrer Region verändert?
Jansen: Messbar sind Sportvereine ja auch daran, ob sie an Ligen oder Wettbewerben teilnehmen. Das ist beim Fußball bei einigen Mannschaften der Fall. Unser Tennisclub hat gar nichts gemeldet. Die sind überall in Gastvereinen unterwegs. Und auch bei unserem sehr erfolgreichen Schützenverein sind die Schützen in alle Winde zerstreut. Und wenn man erstmal bei anderen Vereinen erfolgreich ist, dann geht man dort auch irgendwann soziale Bindungen ein. Ich glaube wir haben noch genau ein Jahr Zeit, um das geregelt zu bekommen. Ich hoffe, dass die Politik diesen Weckruf hört und für die Übergangszeit handelt. Allein in NRW sind 320 Sportvereine betroffen, dahinter steht schon eine große Zahl an Menschen.
Gab es positive Lehren, die aus dieser Katastrophe gezogen werden konnten?
Jansen: Ich bin angesprochen worden von wildfremden Menschen, die helfen wollen. Jemand, der uns bis dahin unbekannt war, gibt uns zum Beispiel eine fünfstellige Summe, um die Tennisplätze wieder bespielbar zu machen. Das ist schon sehr bemerkenswert. Und es gab einige weitere Hilfen. Wir wollen schnellstmöglich in den neuen Sportcampus, der geplant ist. Aber das dauert optimistisch gesehen noch mindestens fünf Jahre.
Das Interview führte Jörg Strohschein