
Scholz zum 8. Mai – Die 'richtige' Sicht auf die Geschichte?
Die Vergangenheit können wir nicht ändern, aber für die Zukunft daraus lernen. Die Idealformel des Erinnerns. Unpolitisch war der 8. Mai nie. Manchmal aber mehr Mahnung als Propaganda. Wie ist das jetzt, angesichts des Krieges gegen die Ukraine? Diskutieren Sie mit im WDR 5 Tagesgespräch!
Auf das Ende des 2. Weltkrieges blicken ehemalige Sieger und Besiegte aus unterschiedlicher Perspektive. Doch wurde das Erinnern mit dem zeitlichen Abstand zum Krieg immer stärker etwas Verbindendes. Deutschland an der Seite der ehemaligen Alliierten, das hat Hoffnung gemacht für eine gemeinsame Zukunft ohne Krieg.
Der 8. Mai in diesem Jahr ist anders: Kundgebungen für oder gegen Russland wollen von der historischen Wucht des 2. Weltkrieges profitieren. An Geschichte wird nicht zuerst erinnert, sie wird instrumentalisiert. Nicht neu, aber in einem solchen Kontext hat das Datum noch nie gestanden. Die Versuchung dürfte groß sein, die historischen Ereignisse auch geschichtsvergessen zu interpretieren.
Gestern hat sich Bundeskanzler Olaf Scholz in einer Fernsehansprache zum Ende des Zweiten Weltkriegs vor 77 Jahren geäußert. Auch er hat den Bogen zum Krieg Russlands gegen die Ukraine geschlagen. Damit aber nicht die Schuld Nazi-Deutschlands relativiert.
Russland, das durch den deutschen Vernichtungskrieg die meisten Opfer zu beklagen hatte, erinnert sich immer am 9. Mai der Gräuel, aber vor allen Dingen des Sieges über Nazi-Deutschland. Derart aufgeladen wie in diesem Jahr war der Tag auf dem Roten Platz aber lange nicht.
In Kiew wurden Denkmäler zur russisch-ukrainischen Freundschaft abmontiert. Und hierzulande wurden seit Kriegsbeginn einige sowjetische Gedenkstätten beschmiert und stehen jetzt unter Polizeischutz. Denn die Bundesrepublik hat sich 1990 dazu verpflichtet, Denkmale, die den sowjetischen Opfern des Kriegs gewidmet sind, zu achten und zu schützen.
Steht es Deutschland zu, Russland am 8. Mai für den Krieg in der Ukraine scharf zu verurteilen? Hat Scholz die richtigen Worte gewählt? Wird zu viel über frühere und erwünschte Siege gesprochen und zu wenig über die Lehren des 2. Weltkriegs? Sollten wir die Denkmäler aus der Sowjetzeit schützen und bewahren? Rechnen Sie heute mit weiteren Drohgebärden vom Roten Platz während der Siegesfeier?
Wird die Erinnerung an das Ende des 2. Weltkriegs auf allen Seiten instrumentalisiert? Welchen Schaden nimmt das Projekt der Versöhnung zwischen Russland und Deutschland? Wie gehen wir heute mit unserer historischen Schuld um? Welchen Schaden nimmt das Projekt der Versöhnung zwischen Russland und Deutschland durch 'falsches' Erinnern und Propaganda rund um den 8. Mai?
Rufen Sie uns während der Sendung an (WDR 5 Hotline 0800 5678 555).
Gast: Prof. Dr. Stefan Creuzberger, Historiker an der Uni Rostock
Redaktion: Willi Schlichting und Jonas Klüter
Literaturhinweis
Stefan Creuzberger (2022): Das deutsch-russische Jahrhundert. Geschichte einer besonderen Beziehung. Hamburg: Rohwohlt. 672 Seiten. 36 €. ISBN: 978-3-498-04703-0.