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Auch wenn Joe Bidens Vorsprung amerikaweit um die 4 Millionen Wählerinnen und Wähler beträgt, hing sein Sieg letztlich an einem seidenen Faden – nämlich an einer einzigen strategischen Entscheidung, die sein Agieren von dem Hillary Clintons vor vier Jahren unterscheidet.
Die indentitätspolitische Falle
Clinton hatte den fundamentalen Fehler begangen, die Gesellschaft nur als eine Ansammlung von Minderheiten zu begreifen. Deshalb war sie bemüht, im Wahlkampf jeder einzelnen von ihnen gerecht zu werden. Darüber verkannte sie jedoch, dass mit jeder Minderheit, die man individuell anspricht, unzählige andere Minderheiten sich strukturell ausgegrenzt fühlen. Vor allem aber wurde die Mehrheit der weißen Landbevölkerung von ihr sträflich und sogar herablassend vernachlässigt.
In diese identitätspolitische Falle ist Biden gerade nicht getreten: Von Beginn an zielte er auf das gesamte amerikanische Volk und gegen den Hetzer im Weißen Haus. „Versöhnen statt spalten“, lautet Bidens Devise. Auch deshalb blieb sein Wahlkampf inhaltlich so konturlos.
Am Ende waren es daher nicht primär die Stimmen der Minderheiten, die ihm den Sieg bescherten. Nein, es waren Trumps vermeintliche Stammwähler, die alten weißen Arbeiter in Pennsylvania, die zu einem Teil zu den Demokraten zurückkehrten.
Deutschland kann aus der US-Wahl lernen
Darin steckt auch eine Lehre für das kommende Superwahljahr in Deutschland – und vor allem für die deutsche Linke. Ja, moderne Gesellschaften sind hoch individualisiert, ein regelrechtes Pluriversum der Identitäten. Aber umso mehr gibt es eine Sehnsucht nach einem Gemeinsamen, das mehr ist als die Addition bloßer Minderheiten. Und vor allem gibt es Probleme, die in der Krise fast alle betreffen – und nicht bloß einzelne, besonders sensibilisierte Minderheiten.
Das aber muss vor allem die deutsche Linke beherzigen, anstatt sich weiter in den feinen Unterschieden der unzähligen Identitäten zu verlieren. Wenn nämlich Linkspartei, Grüne und SPD 2021 vor allem um das Gendersternchen kreisen und darüber den wachsenden Abstand zwischen Arm und Reich vergessen, dann werden sie auch diesmal wieder chancenlos sein. Mehr Biden statt Clinton wagen, lautet daher auch für die deutsche Linke die Devise.
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Redaktion: Isabel Reth
Stand: 10.11.2020, 17:19