
Wie stärken wir unsere Urteilskraft?
Die Urteilskraft ist eine zentrale Kompetenz mündiger Menschen in einer demokratischen Gesellschaft. Die Philosophin Hannah Arendt sah sie als ein entscheidendes Instrument gegen die Gefahren des Totalitarismus. Wie steht es um unsere Urteilskraft in den heutigen (digitalen) Zeiten?
Hannah Arendt betrachtete den Totalitarismus der Zeit des Nationalsozialismus als einen Zivilisationsbruch. Für sie brach der Totalitarismus mit herkömmlichen Normen, Werten und Ordnungsvorstellungen. Dahinter steckte auch das, was sie - mit Blick auf den Nazi-Bösewicht Adolf Eichmann - als die "Banalität des Bösen" bezeichnete: die Abwesenheit von Denkvermögen; Realitätsferne und Gedankenlosigkeit.

Philosophin Linda Sauer
"Für Hannah Arendt hing die Fähigkeit, Böses zu tun, mit der Unfähigkeit zu denken und zu urteilen zusammen," sagt die Philosophin und Arendt-Expertin Linda Sauer. Daraus folgt auch, dass beides Vermögen sind, die sich "gerade in politischen Umbruch- und Krisenzeiten als überaus wirksam und wertvoll erweisen."
Was macht die Urteilskraft aus? Sie ist das "politische der geistigen Vermögen", so Hannah Arendt. Eine Fähigkeit, die an die Gemeinschaft gebunden ist. Das Urteilen bedarf immer auch des Bezugs zu anderen Menschen, des Austauschs mit ihnen, die ja ebenfalls urteilen. Zugleich benötigen Urteile eine geistige Autonomie, wodurch sich im Urteilen ein kritisches Potential entfalten kann. Urteilskraft setzt Widerstandskraft frei.
Das gilt bis heute. Allerdings haben sich seit der Nachkriegszeit natürlich auch die Umstände geändert, insbesondere durch die Digitalisierung mit ihren Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten. Wie also lässt sich angesichts dieser Bedingungen der Überblick bewahren und damit die Möglichkeit der Einordnung und Bewertung?
Welche Bedeutung hat die Kraft, ein Urteil zu fällen für die Gesellschaft? Was macht ein gutes Urteil aus? Wie steht es um Ihre Urteilskraft?
Hörer können mitdiskutieren unter 0800 5678 555 oder per Mail unter philo@wdr.de.
Redaktion: Gundi Große und Heiko Hillebrand
Literaturhinweis: Linda Sauer (2021), Verlust politischer Urteilskraft. Hannah Arendts Politische Philosophie als Antwort auf den Totalitarismus. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. 332 Seiten. ISBN: 978-3-525-33606-9.