
Das Berliner Institut für Sexualwissenschaft
Aufklärung, Geschlechtskrankheiten, Vielfalt sexueller Lebensweisen: 1919 entstand mit dem Institut für Sexualwissenschaft eine innovative Forschungseinrichtung, erzählt der Medizinhistoriker Rainer Herrn. Der Gründer Magnus Hirschfeld gilt als wegweisender Pionier der deutschen Sexualforschung.
In der Aufbruchstimmung der Weimarer Republik konzipierte der Arzt Magnus Hirschfeld eine “Forschungs-, Lehr-, Heil- und Zufluchtsstätte”: das Instituts für Sexualwissenschaft. Die Einrichtung sollte der Untersuchung des “menschlichen Liebeslebens” in biologischer, medizinischer, ethnologischer, kultureller und forensischer Hinsicht” dienen.
Eine umfangreiche Bibliothek, vielfältige Sammlungen, Forschungsprojekte, Beratungs- und Therapieangebote lockten Patient:innen und Besucher:innen aus der ganzen Welt an. Menschen aller Schichten konnten sich über Empfängnisverhütung oder Geschlechtskrankheiten informieren. Hirschfeld verstand sich auch als politischer Akteur. Er kämpfte gegen den Paragrafen 175, der homosexuelle Kontakte unter Strafe stellte. Zudem entwickelte er ein Konzept der “Zwischenstufen”, um die Vielfalt sexueller Lebensweisen und Orientierungen zu dokumentieren – ein wegweisender Ansatz, der die spätere “Queer”-Debatte in der Geschlechterforschung vorwegnahm.

Magnus Hirschfeld um 1930
Nach der Machtübernahme der Nazis plünderten rechtsradikale Sturmtrupps das Institut. Die Mitarbeitende, viele von ihnen jüdisch, flohen ins Ausland, einige wurden verfolgt und später ermordet. Die deutsche Sexualwissenschaft brauchte lange, um sich von der Zerschlagung dieser innovativen Forschungseinrichtung zu erholen. Hirschfelds Verdienste vor allem im Bereich der Sexualaufklärung sind heute unbestritten. Er hatte nachhaltigen Einfluss auf internationale Fachkreise, an seiner Arbeit orientierte sich etwa der amerikanische Sexualforscher Alfred Kinsey.
Buchtipp
Rainer Herrn (2022): Der Liebe und dem Leid. Das Institut für Sexualwissenschaft 1919-1933. Berlin: Suhrkamp Verlag, 680 Seiten, 36 Euro
Redaktion: Chris Hulin