
Lesefrüchte
"Wir hätten uns alles gesagt" von Judith Hermann
Stand: 17.03.2023, 14:04 Uhr
"Ein Buch ist ein Haus aus Papier, in dem ich Dinge aufhebe." In "Wir hätten uns alles gesagt" legt Judith Hermann ihre Frankfurter Poetikvorlesungen vor, in denen sie ihre Poetik des selbstreflektierenden Schreibens fortsetzt, die auch ihre Romane und Erzählungen auszeichnen.
In den drei Erzählungen, die sie für Frankfurt geschrieben und dort verlesen hat, treibt Judith Hermann ein Vexierspiel mit ihren Leserinnen und Lesern, mit ihren Zuhörerinnen und Zuhörern. Sie mischt das Erfundene mit dem Realen und fragt sich selbst als die Erzählende: Ist die Geschichte mit der zufälligen Begegnung mit meinem Psychiater wirklich passiert? Und wenn nein, ist es überhaupt wichtig für den Wahrheitsgehalt des Erzählten?
Judith Hermann erzählt in "Wir hätten uns alles gesagt" von ihren Schreiborten und dem prägenden Puppenhaus der Kindheit, das ihr Vater baute und auch vom Kasperletheater, aus dem heraus ihr die Eltern unheimliche Märchengeschichten erzählten. Sie berichtet vom "Haus am Meer", wo sie beides kann: morgens schreiben und abends über das Geschriebene nachdenken, auch über das, was sie verschweigen, beschweigen will.
In der Auseinandersetzung mit ihrer Familie und den "Familienfreunden" entwickelt sie ihr poetologisches Konzept aus Fantasie und Wirklichkeit, das ihr autofiktionales Schreiben so sehr auszeichnet. Und welch schöne Literatur sie daraus macht!
Eine Rezension von Terry Albrecht
Literaturangaben:
Judith Hermann: Wir hätten uns alles gesagt.
Vom Schweigen und Verschweigen im Schreiben
S. Fischer Verlag, 2023
187 Seiten, 23 Euro