Buchcover: "Die Wunde" von Oxana Wassjakina

Lesefrüchte

"Die Wunde" von Oxana Wassjakina

Stand: 09.06.2023, 14:24 Uhr

Der Tod der Mutter wird für Oxana Wassjakinas Ich-Erzählerin und Protagonistin der Beginn einer Reise in die Vergangenheit und der Auftakt einer furiosen schriftstellerischen Selbstermächtigung.

Trauer. Leere. Als die Mutter der Ich-Erzählerin und Protagonistin von Oxana Wassjakinas "Die Wunde" stirbt, fliegt diese von Moskau nach Wolschski, in den Süden Russlnads. Sie kümmert sich um Einäscherung, Nachlass, Formalien und überführt die Urne schließlich in die einstige sibirische Heimat. Ein Trip in die Vergangenheit.

Bilder aus der Kindheit ziehen an ihrem inneren Auge vorbei, während sie vieles nicht wieder erkennt. Für die Anfang 30-jährige Kulturschaffende beginnt mit dem Tod der Mutter ein Reflexionsprozess über ihrer beider Leben, Herkunft und die komplizierte Beziehung zu dieser unnahbaren Frau.

Wassjakinas Alter Ego-Protagonistin begreift: ihr künstlerischer Antrieb war der Versuch, sich ihrer Mutter verständlich zu machen, für die sie trotz Zurückweisung Bewunderung empfand.

Nun, da sich "Die Wunde" mit ihrem Tod schließt, wird es Zeit, sich der anbahnenden Sprachlosigkeit entgegen zu stemmen, ihren ambivalenten Gefühlen Ausdruck zu verleihen, Erinnerungen zu sortieren und der Mutter dauerhaft einen Platz im Herzen einzuräumen.

Maria Rajer kleidet das ebenso ungestüme wie nachdenkliche Werk in eine lesenswerte Übersetzung, die dem Themenreichtum gerecht wird. "Die Wunde" ist der erstaunliche Debütroman einer wichtigen Stimme des pluralistischen jungen Russlands, der uns daran erinnert, dass man für Freiheit und Toleranz kämpfen muss.

Eine Rezension von Moritz Holler

Literaturangaben:
Oxana Wassjakina: Die Wunde
Aus dem Russischen von Maria Rajer
Blumenbar, 2023
300 Seiten, 22 Euro